Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 53

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müßten mir noch ein paar Minuten schenken. (Bebel: „Dann müssen aber auch alle anderen dies Recht haben!“) Nun, dann will ich schließen. Ich wollte sagen, daß in der ganzen Marokkoangelegenheit der Parteivorstand nicht der Ankläger ist, sondern er ist derjenige, der sich vor allem vor uns verantworten muß für seine Unterlassungssünden. („Sehr richtig!“) In einer wie unangenehmen Situation er war, das beweist ja am besten der Bericht des Genossen Müller. In meinem Leben habe ich noch nicht ein Bild einer so rührenden Hilflosigkeit gesehen. (Lachen. Bebel ruft: „Na, na!“) Deshalb nehme ich Eure Anschuldigungen nicht krumm, ich verzeihe Euch und gebe Euch den väterlichen Rat (Bebel: „Den mütterlichen Rat.“ Große Heiterkeit.): Bessert Euch! (Lebhafter Beifall und Widerspruch.)

IV Verteidigung gegen persönliche Angriffe

[1]

Die politische Seite der Streitfrage, um die sich die Verhandlungen gestern und heute drehen, ist bereits so klargelegt, daß ich gern auf das Wort verzichtet hätte. Aber ich bin gezwungen, mich gegen die persönlichen scharfen Angriffe zweier Parteivorstandsmitglieder, der Genossen Molkenbuhr und Bebel, zu wenden. Molkenbuhr hat besonders als einen Beweis meiner teuflischen Bosheit hervorgehoben, daß ich bei der Veröffentlichung seines Briefes an das Internationale Büro „geflissentlich“ das Datum „unterschlagen“ hätte. An dem Datum hing alles, der ganze Sinn und Inhalt des Briefes, denn das Datum hätte gezeigt, daß der Brief in völlig anderer Situation geschrieben war als in derjenigen, die erst nachträglich die Aktion des Parteivorstandes nötig gemacht hätte. Hätte ich gesagt, daß der Brief vor jener Rede des englischen Ministers Lloyd George[2] geschrieben war, so hätte ich gezeigt, wie früh er geschrieben war, und damit wäre meine ganze Anklage in ein klägliches Nichts zusammengefallen. Molkenbuhr hat sich so festgeklammert an jene Rede Lloyd Georges, daß er gar nicht einsieht, daß seine Ausführungen nur dann einen Sinn hätten, wenn auch ich die Auffassung hätte, daß durch diese Rede die Situation erst geschaffen war, die die Aktion gegen die Kriegshetze nötig gemacht hätte. Aber das trifft ja eben gar nicht zu. Im Gegen-

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[1] Redaktionelle Überschrift.

[2] Der englische Schatzkanzler David Lloyd George hatte am 21. Juli 1911 in einer Rede deutlich zu verstehen gegeben, England werde nicht erlauben, daß die Marokkofrage, die auch englische Interessen berühre, ohne Teilnahme Englands entschieden werde. Sollte Deutschland zu weit gehende Forderungen stellen, stehe England auf der Seite Frankreichs.