Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 45

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-3/seite/45

Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 10. bis 16. September 1911 in Jena

[1]

I Antrag zur Marokkoresolution

[2]

Die Unterzeichneten beantragen folgende Einschaltung in die Resolution über die Marokkoangelegenheit[3]:

1. Nach dem ersten Passus der Resolution hinzuzufügen: so wie er gegen jeden Krieg protestiert, der zur Unterjochung der barbarischen und halbbarbarischen Völker durch die kapitalistischen Staaten führt.

2. Im dritten Passus, im ersten Satz, nach den Worten: „Die einzigen, die hüben und drüben an dieser Verhetzung verschiedener Kulturvölker“ hinzuzufügen: und an der Unterdrückung und Ausbeutung der Eingeborenen (ein Interesse haben).

Nächste Seite »



[1] Redaktionelle Überschrift.

[2] Redaktionelle Überschrift. – Dieser von Rosa Luxemburg, Gustav Hoch und Clara Zetkin eingebrachte Antrag wurde abgelehnt.

[3] Siehe S. 5, Fußnote 1. – Die Resolution des Parteivorstandes hatte folgenden Wortlaut: „Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie zu Jena erhebt auf das nachdrücklichste Protest gegen jeden Versuch, einen männermordenden Krieg zwischen Kulturvölkern, wie sie das französische, englische und deutsche sind, hervorzurufen, der notwendig ein Weltkrieg werden müßte und mit einer allgemeinen Katastrophe enden würde.

Die Bestrebungen einer großkapitalistischen Clique, in Marokko festen Fuß zu fassen, um es um so wirkungsvoller kolonialpolitisch auszubeuten und dafür Gut und Blut des deutschen Volkes in Anspruch zu nehmen, unter der verlogenen Vorgabe, ‚daß die Ehre und die Interessen der Nation‘ dieses erfordern, weist der Parteitag als bewußte Fälschung der Tatsachen und schamlose Heuchelei zurück.

Die einzigen, die hüben und drüben an dieser Verhetzung verschiedener Kulturvölker ein Interesse haben, sind neben den Kolonialpiraten die Chauvinisten zu Wasser und zu Lande, deren Handwerk der Krieg ist, die nach Avancement und Auszeichnung dürsten, und die Fabrikanten und Lieferanten von Kriegsmaterial aller Art, die durch den Krieg ungeheure Gewinne in die Tasche stecken auf die Gefahr hin, daß Hunderttausende von Menschen in diesen Kämpfen zugrunde gehen, Millionen in Not und Unglück gestürzt werden.

Nur den seit vielen Jahren betriebenen Hetzereien der interessierten Kreise ist es zu danken, daß Mittel- und Westeuropa wiederholt in einen Zustand kriegerischer Unruhe versetzt wurden. Diese Beutemacher versuchten dabei die Reichsregierung in die Rolle des gefügigen Handlangers zu drängen, damit sie die Wehr- and Volkskraft der Nation ihren Interessen opfere. Der Grad, in dem ihnen dieses gelang, zeigt, wie sehr die heutigen Regierungen nur der Verwaltungsausschuß für die Interessen der besitzenden Klassen sind.

Der Parteitag weist mit Empörung diese dem Volke gemachten Zumutungen zurück und erwartet, daß insbesondere die deutsche Arbeiterklasse jedes mögliche Mittel anwendet, um einen Weltkrieg zu verhindern.

Der Parteitag fordert die sofortige Einberufung des Reichstags, damit der Volksvertretung Gelegenheit gegeben wird, ihre Meinung zu äußern und den volksfeindlichen Machinationen entgegenzutreten.“ (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten in Jena vom 10. bis 16. September 1911, Berlin 1911, S. 160.)