Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 460

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-3/seite/460

Die Baseler Aktion

Die deutsch-französische Verständigungsaktion, die im vergangenen Frühjahr in Bern ihren Anfang nahm[1] und jüngst in Basel zu einer bleibenden Einrichtung geworden ist[2], gehört zu jenen Improvisationen des Parlamentarismus, denen man im besten Falle mit einem lachenden und einem weinenden Auge zusehen kann. Daß zwischen den Millionen des arbeitenden Volkes in Deutschland wie in Frankreich kein Gegensatz, vielmehr engste Solidarität der Interessen besteht, daß die berufene Vertreterin dieser Millionen, die Sozialdemokratie, diesseits wie jenseits der Vogesen ein Hort des Friedens, eine feste Burg der Völkerverbrüderung ist, das ist so viele Male auf Kongressen ausgesprochen worden und wird bei jeder Gelegenheit so laut und deutlich im Tageskampfe vertreten, daß sich ein besonderes Komitee zur Verständigung zwischen deutschen und französischen Arbeitern als ein gar überflüssiges Möbelstück qualifizieren würde. Der Schwerpunkt der Baseler Aktion liegt offenbar in der Teilnahme bürgerlicher Politiker aus beiden Ländern. Wo das Licht, ist aber auch der Schatten des ganzen Unternehmens. Daß der Hunnen-Pastor Naumann[3], der auf die Chinaexpedition[4] und auf die afrikanische Kolonialpolitik Lobgesänge anstimmte, daß der Freisinn, der sich in den Hottentottenwahlen[5] an dem Militarismus prostituiert hat, daß das Zen-

Nächste Seite »



[1] Am 11. Mai 1913 hatte in Bern eine Verständigungskonferenz von 156 deutschen und französischen Parlamentariern stattgefunden, auf der die deutsche Sozialdemokratie durch 24 Abgeordnete vertreten war. Einstimmig war eine Resolution angenommen worden, die den Chauvinismus verurteilte und erklärte, daß die überwiegende Mehrheit des deutschen wie des französischen Volkes den Frieden will und die Beilegung der internationalen Konflikte durch Schiedsgerichte fordert.

[2] Am 30. Mai 1914 hatte in Basel das von der Konferenz in Bern 1913 eingesetzte ständige deutsch-französische interparlamentarische Komitee getagt. In einer Resolution gab es der Hoffnung Ausdruck, daß eine immer engere Zusammenarbeit der beiden Völker ein Gegengewicht gegen die sich verstärkende Kriegsgefahr sein werde und daß internationale Streitfälle in Zukunft durch schiedsgerichtliche Entscheidung beigelegt würden.

[3] Der evangelische Theologe Friedrich Naumann rechtfertigte die imperialistische Expansionspolitik und versuchte, mit demagogischen Forderungen nach einem christlich-nationalen Sozialismus die Arbeiterklasse vom politischen und sozialen Kampf abzuhalten. Er arbeitete eng sowohl mit dem Finanzkapital wie auch mit einflußreichen Reformisten in der Arbeiterbewegung zusammen.

[4] Im Jahre 1900 hatte die deutsche Regierung die Ermordung des deutschen Gesandten in Peking während des Aufstandes der Ihotuan zum Anlaß genommen, um durch die Entsendung eines Expeditionskorps nach China ihr Vordringen in Ostasien zu sichern. Zusammen mit den Truppen anderer imperialistischer Mächte schlugen die deutschen Interventionstruppen die chinesische nationale Befreiungsbewegung grausam nieder.

[5] Unter der Leitung des Reichskanzlers Bernhard von Bülow war der Wahlkampf zu den Reichstagswahlen am 25. Januar 1907 durch eine Hetzkampagne der Reaktion gegen alle oppositionellen Kräfte, besonders gegen die Sozialdemokratie, und durch chauvinistische Propaganda für die Weiterführung des Kolonialkrieges gegen die Hereros und Hottentotten in Afrika gekennzeichnet. (Im Jahre 1904 hatten sich in Südwestafrika die Völker der Hereros und der Hottentotten gegen die Kolonialherrschaft des deutschen Imperialismus erhoben. Der Aufstand, der den Charakter eines Freiheitskrieges trug, endete mit einer verlustreichen Niederlage dieser Völker, nachdem die deutschen Kolonialtruppen drei Jahre lang mit äußerster Grausamkeit gegen sie vorgegangen waren. – Unter der Leitung des Reichskanzlers Bernhard von Bülow war der Wahlkampf zu den Reichstagswahlen am 25. Januar 1907 durch eine Hetzkampagne der Reaktion gegen alle oppositionellen Kräfte, besonders gegen die Sozialdemokratie, und durch chauvinistische Propaganda für die Weiterführung des Kolonialkrieges gegen die Hereros und Hottentotten in Afrika gekennzeichnet. Obwohl die Sozialdemokratie die größte Stimmenzahl erzielte, erhielt sie auf Grund der veralteten Wahlkreiseinteilung sowie der Stichwahlbündnisse der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie nur 43 Mandate gegenüber 81 im Jahre 1903.) Obwohl die Sozialdemokratie die größte Stimmenzahl erzielte, erhielt sie auf Grund der veralteten Wahlkreiseinteilung sowie der Stichwahlbündnisse der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie nur 43 Mandate gegenüber 81 im Jahre 1903.