Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 173

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Blinder Eifer

Am Montag sandte uns Genossin Rosa Luxemburg eine Zuschrift zum Fall Radek[1]. Da wir der Ansicht sind, daß diese Affäre sich sehr wenig zur Diskussion vor der deutschen Parteiöffentlichkeit eignet, ersuchten wir Genossin Luxemburg, ihre Abwehr in der „Bremer Bürger-Zeitung“ zu veröffentlichen, die mit großem Eifer eine Kampagne für Karl Radek führt. Genossin Luxemburg sandte darauf ihre Einsendung an unser Bremer Parteiblatt. Dieses sah sich jedoch nicht veranlaßt, der Zuschrift der Genossin Luxemburg Raum zu geben. Wir fühlen uns deshalb nunmehr, wo Genossin Luxemburg ihren Wunsch wiederholt, [verpflichtet,] ihr als der in Deutschland bekanntesten Vertreterin der Sozialdemokratie Polens und Litauens die Möglichkeit zu verschaffen, zur Abwehr gegen sehr heftige Anklagen zu Worte zu kommen. Genossin Luxemburg schreibt:

Die „Bremer Bürger-Zeitung“ beobachtet im Fall Radek eine Haltung, der gegenüber man gerade dann nicht schweigen kann, wenn einem die Interessen und das Ansehen der radikalen Richtung in der Partei am Herzen liegen. Nummer für Nummer betreiben unsere Bremer Freunde eine larmoyante Agitation, die den Zweck hat, die polnischen Parteiinstanzen, die Radek verurteilt haben, in jeder Weise herunterzureißen, sie der gewissenlosesten Tendenzgerichtsbarkeit zu beschuldigen, um Radek in geschmackvoller Parallele mit Pfarrer Traub[2], den Märtyrer

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[1] Ein vom Hauptvorstand der Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens einberufenes Parteigericht hatte gegen Karl Radek Anklage wegen unmoralischen Verhaltens in länger zurückliegender Zeit erhoben und ihn Ende August 1912 aus der SDKPiL ausgeschlossen. Anfang September 1913 überprüfte eine auf Initiative des Büros der Auslandssektionen der SDKPiL gebildete Kommission diesen Beschluß und kam zu dem Ergebnis, daß kein Grund vorgelegen habe, Radek aus der Partei auszuschließen. Sie beantragte die Aufhebung des Urteils.

[2] Am 5. Juli 1912 war der Pfarrer G. Traub aus Dortmund vom Evangelischen Oberkirchenrat aus seinem Amt entlassen worden, weil er in mehreren Schriften und in Vorträgen das Verhalten der Kirchenbehörden kritisiert hatte. Das Verfahren, das sich über viele Monate hinzog, hatte in weiten Kreisen allgemeine Unzufriedenheit hervorgerufen.