Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 366

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Arbeitshäusern die Zwangsarbeit zu verrichten: Sie forderten, daß man ihnen für die Zeit der Krise Schulen und Bibliotheken öffne, damit sie ihre erzwungene Muße zur Bildung ihres Geistes ausnutzten. Sie stellten ihre Bedingungen und setzten sie durch Drohung und Gewalt durch; nicht für einen Moment gaben sie die eigene Klassenwürde preis. Es war der geistige Aufschwung, die Kampfenergie, die am Vorabend der Gründung der Internationale durch die englische Arbeiterklasse zog, was sie dazu stählte, um die äußerste Not mit Mut und Trotz zu ertragen. Und in der russischen Revolution verrichtete der Massenidealismus Wunder der Opferfreudigkeit und des Kampfmuts, die allein das Proletariat durch den Ozean von Leiden der Arbeitslosigkeit, des Hungers und der Verfolgungen vor, während und nach der Revolution hindurchzuführen imstande waren.

Auch in Deutschland kann jetzt den verheerenden Wirkungen der Arbeitslosigkeit am letzten Ende nur durch die Entfaltung einer Massenagitation begegnet werden, die an das Beste im modernen Proletarier appelliert: an seinen unerschöpflichen revolutionären Idealismus, die in ihm das Stärkste wachrüttelt: den Willen zur Tat und den Glauben an seine eigene Macht. Die Entmutigung der Massen und die Schlammflut der Gelben-Bewegung, diese Selbstpreisgabe des Proletariats, werden nur weichen vor einer feurigen Flut der sozialistischen Agitation, die den darbenden Proletarier über ihn selbst zu erheben vermag, indem sie ihm seine revolutionären Aufgaben in greifbare Nähe rückt, indem sie den Massen klarmacht, daß sie die größten persönlichen Opfer des Kampfes freudig und unbesorgt in Kauf nehmen müssen, um durch kühne Aktionen den Zusammenbruch eines Systems zu beschleunigen, das ihnen um des kapitalistischen Profits willen periodisch die entsetzlichsten Entbehrungen aufzwingt.

Sozialdemokratische Korrespondenz (Berlin),
Nr. 1 vom 27. Dezember 1913 (Probenummer).

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