Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 282

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steuern war aber, daß gleich nach der Beendigung des Krieges eine „Vergütung“ der „schwer belasteten Industrie“ durch Zölle begann, die in eine beispiellose schutzzöllnerische Orgie ausartete. Und – das ist der besondere Witz der Geschichte – dieser Schrei nach der „Kompensation“ für die Besitzsteuern diente fortgesetzt zum Ausbau jenes ungeheuerlichen Schutzzollsystems der Vereinigten Staaten, das in seinen Grundlagen bis zu der ersten Reform in diesem Jahre[1], also sechzig Jahre lang, angehalten hat, nachdem jene einstigen Besitzsteuern, die ihm zum Vorwand gedient hatten, längst wieder aufgehoben worden waren.

Zeigt so das amerikanische Beispiel, wie schon die Opfer der Besitzenden auf dem Altar des Militarismus die indirekte Volksbelastung „verhüten“, so haben wir nach einem Gegenstück dazu nicht weit zu suchen: Es ist in der eigenen Finanzgeschichte des Deutschen Reichs enthalten, und zwar in der Finanzreform des Jahres 1909. Dort war die Erbschaftssteuer schon von vornherein mit einem Pack neuer indirekter Steuern verbunden. Die Besitzsteuer kam hier gleich mit ihrer natürlichen Ergänzung, mit Verbrauchssteuern, auf die Welt, und zwar in typischem, symptomatischem Verhältnis. 90 bis 100 Millionen an direkter Steuer, gepaart mit 400 Millionen neuer indirekter Lasten, das war das „normale“ Verhältnis, in dem Besitzsteuern im heutigen kapitalistischen Staate zu den Verbrauchssteuern stehen. Nicht als Ersatz für bestehende Lasten des Volkes, nicht als Verhütung neuer Lasten, sondern umgekehrt als Deckung, als Flagge, unter der neue indirekte Steuern, und zwar im dreifachen, vierfachen Verhältnis, einherziehen – so trat die Erbschaftssteuer in der Finanzreform des Jahres 1909 auf. Ob dabei die Paarung zwischen neuen direkten und neuen indirekten Steuern gleich in einer gemeinsamen Vorlage klipp und klar zutage tritt, wie 1909, oder erst nach Verlauf von einigen Jahren durch getrennte Gesetze bewerkstelligt wird, dürfte für etwas weiterblickende Politiker keinen wesentlichen Unterschied ausmachen. Nur im Zusammenhang mit jener lehrreichen Episode der deutschen Finanzgeschichte kann deshalb die letzte Deckungsvorlage richtig eingeschätzt werden, und man muß staunen über die Blindheit gegenüber diesen Lehren des gestrigen Tages, wenn unsre Fraktionsmehrheit es fertigbringt, sich und der Welt allen Ernstes einzureden, der Wechselbalg der Besitzsteuern, den das Zentrum und die Nationalliberalen zur neuen Stärkung des deutschen Militarismus zusammengebraut haben, „verhüte“ dauernd eine Neubelastung des deutschen Volkes mit indirekten Steuern.

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[1] Im Oktober 1913 trat in den USA ein neuer Zolltarif in Kraft, der insbesondere die Schutzzölle für landwirtschaftliche Produkte verringerte.