Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 386

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Reaktion immer wahrscheinlicher wäre, sondern in dem tieferen historischen Sinn, daß sie gerade in unserem Kampfe gegen jene Reaktion als echte Parole der proletarischen Klassenposition immer mehr Leben gewinnt, im Bewußtsein der Massen einen immer wichtigeren Platz beansprucht.

Es war stets der Stolz unserer Partei, daß sie, ein echtes Kind des Marxschen Geistes, nicht an der Oberfläche der Erscheinungen haften blieb, sondern mit ihrer Aufklärungsarbeit in die tiefsten Wurzeln der gesellschaftlichen Zusammenhänge griff. Wir haben nie die Illusion genährt, als ob in der Republik das Heil der Arbeiterklasse wäre, als ob die republikanische Staatsform heute nur um ein Jota weniger kapitalistische Klassenherrschaft bedeutete als die Monarchie.

Aber ebenso, wie wir im allgemeinen Wahlrecht für Preußen kein Heil erblicken, es dennoch als ein unumgängliches Mittel zum Kampfe gegen den Kapitalismus brauchen; ebenso wie wir erkennen, daß der Militarismus in der Klassenherrschaft wurzelt und nur mit ihr zusammen ausgerottet werden kann, was uns nicht hindert, den Militarismus ganz besonders als unseren schlimmsten Feind zu bekämpfen – ebenso rückt heute die Monarchie als besondere Vertreterin der Klassenherrschaft in den Vordergrund des politischen Lebens.

Es gehört schon zu den alten Erkenntnissen unserer materialistischen Geschichtsauffassung, daß die soziale Grundlage wie die Bedeutung der monarchischen Form durchaus nicht immer die gleiche ist. Wenn die Portugiesen bei ihrem ersten Vordringen in das Lunda-Reich in Afrika den Negerfürsten Muata Kasombe kennenlernten, der sie, barfuß, in einen Weiberrock gekleidet und ein schmutziges Tuch um den Kopf, mit seinen zwei Töchtern durch einen hüpfenden Tanz begrüßte und darauf zur Feier des Tages mehreren seiner Untertanen Nasen und Ohren abhauen ließ, so mag dies dein „gesitteten Europäer“ als die abscheulichste Barbarei vorkommen. Immerhin berichten dieselben Portugiesen, daß die Untertanen des gestrengen Muata ihren Herrscher für den mächtigsten Zauberer hielten, so gut wie er sich selbst für einen solchen hielt. Und dieser naive Glaube der Volksmasse war die ausreichende historische Legitimation für den naturwüchsigen Charakter jener tyrannischen Herrschaft.

Heute, im Lande Goethes, Kants und Marxens, im Lande der 41/2 Millionen sozialdemokratischer Wähler, ist die aktive Rolle der Monarchie durch keinen Glauben an die übersinnlichen Mächte legitimiert. Sie ist zwar nicht ein Instrument des Himmels, aber ein Instrument der junker-

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