Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 78

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tun wäre, brauchten sie nicht den Militarismus. Sie brauchten nur die Lage der Arbeiterschaft ökonomisch und politisch zu verbessern. Dann könnte Deutschland in Ruhe dem Wettkampfe auf dem Weltmarkte zusehen. Anstatt dessen sehen wir das Umgekehrte, daß man dem deutschen Arbeiter nach und nach die Rechte nimmt, um ihn auf das Niveau von Plantagenarbeitern herabzudrücken. Also trifft dieser Grund für die Kolonialpolitik nicht zu. In diesem Streben nach Ausdehnung, in diesen Kolonialkriegen handelt es sich um die letzten Versuche des Kapitalismus, seine Lebensfrist zu verlängern.

Es ist die Frage aufzuwerfen, können wir etwas gegen den Krieg tun? Wir sind uns darüber klar, daß, solange der Kapitalismus existiert, wir den Krieg nicht abschaffen können. Aber wir werden den Kapitalismus besiegen, wenn wir mit aller Macht gegen den Imperialismus, gegen den Krieg den Kampf führen. Und da gilt es, die äußerste Kraft aufbieten, um auch dem letzten klarzumachen, daß es seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, dahin zu streben, daß wir einmal über kurz oder lang den Moment erleben, wenn von den herrschenden Klassen an die Massen der Appell ergeht, wo es heißt, daß sich eine Masse auf die andre stürzen soll, daß dann einmal der Moment kommt, wo von den Massen erklärt wird: Das tun wir nicht! (Stürmischer Beifall.)

Man hat im Zusammenhang mit dieser Frage den Massenstreik erörtert, und auch von unsrer Seite hat man geglaubt, die Versicherung geben zu müssen, daß die deutsche Sozialdemokratie nicht daran denke, im Falle eines Krieges den Massenstreik zu inszenieren. Ich weiß nicht, und kein Sterblicher kann erklären, was die Sozialdemokratie bei einem nächsten Kriege tun wird. Allein, das eine können wir sagen, sowenig ein Mensch sagen kann, daß wir im Falle eines Krieges einen Massenstreik machen werden, sowenig kann er erklären, die Sozialdemokratie wird keinen Massenstreik machen. Im Gegenteil. Unsre Aufgabe ist, dahin zu streben, die Massen aufzurütteln, ihnen die Wahrheit der Situation [zu zeigen], das Vertrauen in die eigne Kraft einzuflößen, damit wir so schnell wie möglich den Moment erleben, wo sich die Soldaten weigern, einen schmachvollen Dienst zu leisten, und auch die Massen der Arbeiter durch die Waffe der gekreuzten Arme ihr Veto gegen die Verbrechen des Kriegs einsetzen. (Beifall.)

Wir sollen in wenigen Wochen an die Urne gehen, um durch den Stimmzettel, durch die Wahl der Abgeordneten das entscheidende Wort über die politische Entwicklung zu sprechen, und da sage ich: Es gilt, das auszunutzen, um durch Aufrüttelung der großen Masse den Sieg an

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