Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 76

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halb sind wir Umstürzler geworden, weil wir fest überzeugt sind, daß erst durch den Umsturz der heutigen Ordnung eine Grundlage geschaffen werden kann. Deshalb sind wir praktische Realpolitiker. Wir wissen, solange der Kapitalismus existiert, solange wir das Heft nicht in unsern Händen haben, kann von Abrüstung keine Rede sein.

Heute sagt jeder Staat, daß er vor dem Nachbar gerüstet sein müßte. Dazu, wenn nicht andre Zwecke vorlägen, brauchte es nicht des verbrecherischen Systems der stehenden Heere. Wenn es sich bei den herrschenden Klassen allein darum handeln würde, den Frieden innerhalb des Staates zu schützen, dazu gibt es viel einfachere Mittel. Dazu wäre nur nötig, daß die waffenfähige Bevölkerung während einiger Wochen in die Führung der Waffen eingeführt würde. Und dann wäre es notwendig, daß die Waffe in die eigne Hand der Bevölkerung ausgeliefert wird, damit die Masse selbst entscheidet, wann und gegen wen die Waffe losgeht. Erst dann könnte man sagen: Lieb Vaterland, magst ruhig sein.

Aber gerade davor scheuen sich die herrschenden Klassen, dem deutschen Arbeiter die Waffe in die Hand zu geben, damit sie nicht losgeht in einer Richtung, die durchaus nicht im Interesse der herrschenden Klassen liegt. Die Waffe soll gerade dazu dienen, auf die Brust der Sozialdemokratie gerichtet zu werden. Und haben wir nicht Beweise in Hülle und Fülle in diesem Jahre, wozu der Militarismus in erster Linie berechnet ist? Bei den friedlichen Wahlrechtsdemonstrationen in Preußen am 6. März[1] und in Moabit[2], da haben wir erfahren, wozu die Säbel von den deutschen Steuerzahlern bezahlt werden.

Aber es gibt noch eine ganze Reihe Interessenten, die bei dieser Verschwendung auf ihre Rechnung kommen. Da sind die nicht zahlreichen, aber mächtigen Gruppen der Lieferanten für Heer und Flotte, die wohl wissen, was sie tun, wenn sie mit beiden Händen für Flottenvorlagen stimmen. Und dann kommt auch noch eine Zahl reicher und einflußreicher Söhnchen aus Kreisen, die nie ihre Hände mit ehrlicher Arbeit beschmutzt haben, die aber in den Kolonien den deutschen Namen mit Schmach bedecken. Solche Elemente finden sich heute in allen Kolonien. Das liegt im Wesen der kapitalistischen Kolonialpolitik.

Man hält uns entgegen, Militarismus, Flotte und Kolonien seien doch

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[1] Siehe S. 63, Fußnote 1.

[2] In Berlin-Moabit war es im Herbst 1910 in Verbindung mit einem Streik bei der Firma Kupfer & Co. und den Provokationen der von der Polizei unterstützten bewaffneten Streikbrecher zu schweren Unruhen gekommen, an denen 20 000 bis 30 000 Menschen beteiligt waren. Bei den Auseinandersetzungen zwischen der Arbeiterklasse und der Staatsgewalt gab es zahlreiche Verwundete und zwei Tote, darunter den Arbeiter Robert Hermann.