müssen viel mehr tun und mehr Mittel haben. Allein die elementarste Gerechtigkeit und die Kulturanforderungen der heutigen Staaten sagen, daß die Mittel nicht aus den Taschen der Ärmsten, sondern aus den Taschen der Reichsten geholt werden müssen. Wir stehen noch auf demselben Standpunkt wie Ferdinand Lassalle: Es gibt keine niederträchtigere und kulturfeindlichere Steuermethode als die, die jeden Bissen Brot verteuert. Der heutige Staat brauchte nur progressive Steuern auf Einkommen und Erbschaften einzuführen, und er hätte genug Mittel, um alle Aufgaben zu lösen.
Wir sehen aber, daß die Art und Weise, wie diese Mittel verausgabt werden, nicht im Interesse des Kulturfortschritts liegt. Das Kapital, das die Kräfte des deutschen Volkes verschlingt, ist nicht Aufklärung, Sorge für die Gesundheit und Hebung der Lage der Arbeiter, sondern der nimmersatte Militarismus. Die Friedenspräsenzstärke der deutschen Armee stieg von 359 000 Mann im Jahre 1872 auf 700 000 Mann, also um 100 Prozent, während die Bevölkerung nur von 41 auf 65 Millionen (50 Prozent) gewachsen ist. Die Friedenspräsenzstärke ist zweimal so schnell gewachsen, während die Ausgaben für das Landheer von 337 Millionen auf 925 Millionen Mark gewachsen sind, sich also fast verdreifacht haben. Dazu kommen noch die Ausgaben für die Flotte, die vor allem seit dem Regierungsantritt Wilhelms II. eine kolossale Steigerung erfahren haben und gegenwärtig 460 Millionen betragen. Und wenn man jetzt zusammenlegt, was Deutschland seit der Gründung des Reichs für Militär und Marine ausgegeben hat, so kommt man auf die Summe von 28 Milliarden Mark. Und das während 40 Jahren tiefsten Friedens in Europa!
Man brüstet sich immer damit, daß die Lage des Reichs vollständig gesichert sei dank der hohen Weisheit der Staatsdiplomatie und der Freundschaftsreisen des Kaisers, und sagt, daß wir in den besten Beziehungen zu den Staaten der Welt leben. Und bei all dieser Freundschaft 28 Milliarden für Rüstungen! Das wäre ein Grund zu der Frage, welche eigentlichen Zwecke in Wirklichkeit der Militarismus verfolgt. Man sagt uns ja, daß die menschliche Natur es mit sich bringe, daß die Völker untereinander wie Bestien leben. Wir erlauben uns, einer anderen Meinung über die menschliche Natur zu sein. Der menschlichen Natur entspricht, daß sämtliche Völker und Rassen in Frieden, Freundschaft und Kultursolidarität leben sollen. Solange die kapitalistische Gesellschaft herrscht, ist das allerdings nicht möglich. Das kann erst dann zur Wirklichkeit werden, wenn die Arbeiterklasse in allen Ländern das Heft in ihre Hände genommen und den Kapitalismus zum Teufel gejagt hat. Des-