Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 68

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den Hottentottenwahlen[1] die wüsteste nationalistische Hetze entfesselt, hat durch den „Panthersprung“ nach Agadir[2] die Kriegsgefahr für Deutschland akut gemacht und durch sein ganzes tolpatschiges Benehmen den Ausbruch des italienischen Krieges[3] begünstigt und beschleunigt. Wenn die chauvinistische Reaktion in Deutschland den Zickzack von diesen kriegsschürenden Handlungen von gestern zu friedentriefenden Phrasen von heute im Reichstag nicht rasch genug mitzumachen versteht, so ist das der plumpen Grazie der junkerlichen Demagogie nicht weiter zu verübeln. Jedenfalls aber bilden die sittlichen Verweise im Munde des seinem Kaiser verantwortlichen Machers dieser Politik an die ungebärdigen Kriegshetzer nicht minder eine skrupellose Demagogie, die an Ungeniertheit nichts zu wünschen übrigläßt. Man braucht nämlich gar nicht einmal an die gestrigen Taten der vom persönlichen Regiment geleiteten auswärtigen und inneren Politik des Deutschen Reiches zu denken. Was ist dieses Abkommen mit Frankreich selbst, zu dessen Verteidigung die Regierung wider die Säbelrassler plötzlich eine moralische Pauke hielt? Es ist ein Länderschacher ordinärster Art, der Deutschland wie Frankreich durch neue Kolonialerwerbungen in neue internationale Situationen, in neue Nachbarschaften bringt, neue Konfliktstoffe schafft und so für den Weltkrieg, den man heute angeblich aus Friedensliebe und Klugheit vermieden hat, morgen neuen Zündstoff bergehoch sammelt. Der Marokko-Kongo-Vertrag ist seinem Inhalt nach ein neuer Schritt in der Aufteilung der außereuropäischen Länder durch den Kapitalismus, zugleich ein weiterer Schritt im imperialistischen Wettlauf der kapitalistischen Militärstaaten, der den Knoten ihrer Widersprüche noch enger schürzt, der die Frist bis zur unvermeidlichen Explosion der Gegensätze um ein weiteres verkürzt. Von diesem Standpunkt aus gesehen, nehmen sich die Versicherungen der Friedensliebe im Munde des Reichskanzlers im Reichstag als hohle Phrasen aus, die momentan aus der Not eine Tugend machen, um bei der ersten Gelegenheit wieder als Evangelium der gepanzerten Faust die Begleitmusik zu neuen Tollheiten und Provokationen abzugeben. Wenn die Reichspolitik unter solcher Leitung soeben an der Klippe des Krieges haarscharf vorbeigesegelt ist, so hat sie sicherlich mehr Glück als Verstand

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[1] Siehe S. 7, Fußnote 2.

[2] Siehe S. 5, Fußnote 1.

[3] Siehe S. 58, Fußnote 1.