Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 67

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ihm Beifall und Zustimmung gespendet hätte. Der Reichskanzler mit seiner Politik schwebte völlig in der Luft, wie sich unser Zentralorgan richtig ausdrückte. Trotz dieser absoluten Isolierung hatte aber Herr Bethmann „den Mut“, auf seinem Posten zu verbleiben, seine Politik weiter zu verfechten und am zweiten Tag wieder vor demselben Reichstag zu erscheinen, der von seiner Politik nichts wissen wollte. Haben wir da eigentlich so großen Anlaß, über „den Mut“ des Reichskanzlers zu jubeln, der ihn befähigt hat, gegen die junkerliche Kritik der Regierungspolitik zu fauchen, da es nur ein Teil jenes „Mutes“ war, der Herrn Bethmann in die Lage versetzte, auf jegliche Kritik der Parteien, auf die Meinung des Reichstags überhaupt zu niesen? Sagen wir es nur mit dürren Worten heraus: Was in der Absage des Reichskanzlers an das Säbelrasseln des Herrn Heydebrand zum Ausdruck kam, war nichts andres als die Herrschaft des persönlichen Regiments. Eine reaktionäre Macht gegen die andre und nicht irgendwelche demokratische oder fortschrittliche Strömung in der Reichspolitik, eine gelegentliche Katzbalgerei im Hause der Reaktion und nicht eine neue Ära der politischen Entwicklung, das ist es, was die Verhandlungen im Reichstag über das Marokkoabkommen zutage gefördert haben. Im Triumphe Bethmanns über Heydebrand triumphiert die außerparlamentarische Reaktion des persönlichen Regiments über die parlamentarische Reaktion des Junkertums.

Daß es gelegentlich zu einer Katzbalgerei zwischen den beiden kommen muß, bringt die Natur der Dinge mit sich. Während die Richtung der junkerlichen Reaktion brutal-gradlinig und zynisch-konsequent ist, ist die Politik des persönlichen Regiments von Haus aus eine Zickzackpolitik, voller Sprunghaftigkeit, Widersprüche und Unberechenbarkeiten. So kann und muß sie sich gelegentlich auch mit der junkerlichen Reaktion unter einem schroffen Winkel schneiden. Trotzdem bleiben jedoch beide in ihrem innersten Wesen einander vollkommen gleich. Dies beweist nicht bloß die allgemeine reaktionäre Tendenz des persönlichen Regiments in Preußen-Deutschland. Dies beweist auch noch im besonderen seine ganze Politik im gegebenen Fall. Dasselbe persönliche Regiment, das die Kriegshetzereien des junkerlichen Nationalismus durch den Reichskanzler abkanzeln ließ, hat im Jahre 1900 die internationale Kriegshetze gegen China[1] geschürt und geleitet, hat im Jahre 1905[2] durch die Tangerreise den Marokkokonflikt[3] mit Frankreich geschaffen, hat im Jahre 1907 bei

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[1] Siehe S. 23, Fußnote 1.

[2] In der Quelle: 1904.

[3] Am 31. März 1905 war Wilhelm II. in Tanger gelandet und hatte Konzessionen zur Ausbeutung der Bodenschätze Marokkos gefordert. Diese Provokation, gegen Frankreich gerichtet, das diese Rechte für sich beanspruchte, beschwor eine Krise in den internationalen Beziehungen herauf, die 1906 mit einer Niederlage Deutschlands endete.