Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 61

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Um die Bedeutung dieser Summe klarer zu zeigen, kann auf ein vaterländisches Beispiel zurückgegriffen werden. Nach dem Kriege von 1870/71 verlangten zwei Männer in Deutschland für das unterlegene Frankreich einen billigen Frieden. Es waren die Genossen Bebel und Liebknecht, die dafür auf Festung kamen.[1] Frankreich aber wurde der ostpreußische Kürassierstiefel in den Nacken gesetzt, es mußte 4 Milliarden Mark Kriegskontribution zahlen, eben die Summe, die heute dem deutschen Volke pro Jahr direkt und indirekt aus Zöllen und Steuern abgenommen wird.

Wir Sozialdemokraten appellieren an die klare, ruhige Überlegung, wir sind bereit, die Steuerfragen mit Objektivität zu beleuchten. Man sagt, der Staat habe große Aufgaben zu erfüllen, die dem Volke zum Wohle gereichen, und zur Lösung dieser Aufgaben bedürfe es großer Mittel. Gewiß hat der Staat große Aufgaben zu erfüllen. Aber schon Lassalle hat sehr treffend gesagt: Der Staat braucht Mittel, aber Gerechtigkeit und Kultur verlangen, daß er diese Mittel nicht von den Ärmsten, sondern von den Reichsten nimmt. (Zustimmung.) Wir Sozialdemokraten verlangen die Abschaffung aller indirekten Steuern. Wir fordern Steuern auf Einkommen und Vermögen, die diejenigen treffen, die ihre Hände nicht durch Arbeit beschmutzen. Wir verlangen weiter eine Erbschaftssteuer. Der Arbeiter würde von ihr nicht getroffen, denn was er hinterläßt, ist sehr nahe beieinander. Diejenigen, die schon als Schwerreiche aus dem Mutterleibe kommen, die würden und sollen getroffen werden.

Um sich darüber klarzuwerden, wozu die ungeheuren Mittel Verwendung finden, genügt ein kurzer Blick auf die Finanzgeschichte. Der nimmersatte Militarismus ist es, der fast alles verschlingt. Um ihn großzuziehen, wird das Volk ausgepowert. Die logische Folge dieser Entwicklung sind Kriege. Im Jahre 1872 betrug die Friedenspräsenzstärke 359 000 Mann. Seither nimmt die Steigerung kein Ende. Jetzt stehen rund 700 000 Mann im Frieden unter den Waffen, wenn wir die Unteroffiziere, diese Zierde der Menschheit, zurechnen, von denen wir 82 000 Mann haben.

Die Behauptung, daß das Wachstum der Armee mit dem Anwachsen der Bevölkerungszahl gleichen Schritt halte, ist nicht zutreffend. Die Bevölkerung, die im Jahre 1871 41 Millionen zählte, ist jetzt auf rund

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[1] Seit September 1870 hatten August Bebel und Wilhelm Liebknecht wie auch das zentrale Parteiorgan der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der „Volksstaat“, einen billigen Frieden im Sinne eines gerechten, ehrenvollen Friedens mit der französischen Republik gefordert. Die beiden Parteiführer wurden für ihr revolutionäres Auftreten und ihre sozialistische Gesinnung im März 1872 zu je zwei Jahren Festung verurteilt.