Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 50

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selbst geschrieben hat. Es sind zwei Briefe von ihm vorhanden. In dem ersten heißt es: „Wie ich vernehme, soll in Bälde eine Konferenz des Internationalen Sozialistischen Büros in Sachen der Marokkoaffäre stattfinden. Ich beabsichtige, wenn irgend möglich, an der Konferenz teilzunehmen.“[1] Dieser Brief ist vom 10. Juli. Es folgt aber dann am 12. Juli, also zwei Tage nach dem Briefe Molkenbuhrs, ein zweiter Brief, worin es heißt: „Werter Genosse! Die Marokkoaffäre hat neuerdings einen Charakter angenommen, daß mir zunächst eine Konferenz des Internationalen Sozialistischen Büros nicht empfehlenswert erscheint.“[2]

Diese Erklärung soll jetzt, wie der Parteivorstand sagt, in zustimmendem Sinne aufgefaßt sein. Wenn mich meine Augen nicht trügen, so ist das ein ablehnender Sinn, aber ich wage nie, wenn der Parteivorstand etwas behauptet, es nicht zu glauben, da für mich als ein frommes Parteimitglied der alte Satz gilt: Wenn der Parteivorstand geredet hat: Credo quia absurdum – ich glaube, weil es absurd ist. (Heiterkeit.) Die dritte Behauptung ist, daß ich überhaupt den Brief des Genossen Molkenbuhr an das Internationale Büro veröffentlicht habe. Damit hätte ich mich einer groben Indiskretion schuldig gemacht. (Bebel: „Diese Meinung hat auch das Internationale Büro.“) Nun, im Eingang des Briefes des Genossen Molkenbuhr, der in der uns vorgelegten Korrespondenz abgedruckt ist, steht folgender einleitender Satz: „Vorläufig will ich meine persönliche Ansicht mitteilen, die ich auch am Dienstag in einer Versammlung ausgesprochen habe.“[3] („Hört! Hört!“) Es war also eine so hoch sekrete Sache, daß sie Molkenbuhr vor versammeltem Volke in Berlin erzählt hat. Es wird weiter in der Schrift des Parteivorstandes zur Begründung gesagt: „Sollen solche Verhandlungen zu einem gedeihlichen Abschluß führen, so ist Diskretion eine Ehrensache für alle Beteiligten“[4], und „diese Korrespondenz unter den Mitgliedern des Internationalen Sozialistischen Büros, die eine Verständigung bezweckte, war daher ihrer Natur nach streng vertraulich“[5]. Man könnte meinen, ich hätte durch Veröffentlichung des Briefes von Molkenbuhr etwa die Verständigung des Internationalen Büros, die zu einem gedeihlichen Ende führen sollte, verhindert. Die Korrespondenz mit dem Internationalen Büro war abgeschlossen am 12. Juli, mein Artikel erschien am 24. Juli, reichlich 12 Tage später, und die große Aktion war längst abgeschlossen und leider nicht zu einem

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[1] Zur Marokkofrage, S. 5.

[2] Ebenda.

[3] Ebenda, S. 2.

[4] Ebenda, S. 7.

[5] Siehe ebenda, S. 6.