Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 478

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Völkerfriedens stehen, für diese „Friedenswünsche“ der deutschen Regierung beileibe weder ein Gefühl der Solidarität noch Achtung, sondern nur grimmigen Hohn und eisige Kälte. Kommt es doch in der Politik nicht auf Gefühle und Wünsche, sondern auf Taten und ihre Konsequenzen an. Was aber die tatsächliche Aktion zur Bewahrung des Friedens in Europa betrifft, so gehen die Taktik der regierenden Kreise und die Taktik des klassenbewußten Proletariats in diametral entgegengesetzter Richtung auseinander.

Es gibt nämlich in diesem Augenblick zweierlei Methoden, den europäischen Frieden zu beschützen. Diejenige der offiziellen Politik – wie sie auch durch den Mosse-Freisinn im „Berliner Tageblatt“ vertreten wird – besteht darin, Rußland von der Einmischung in den österreichisch-serbischen Konflikt abzuschrecken durch die feste Aussicht auf die Dreibundtreue Deutschlands und dessen Entschlossenheit, seinerseits dem russischen Bären sofort auf die Pfoten zu schlagen. Von diesem Standpunkt liegt sogar die Möglichkeit nahe, daß man die Aktion der deutschen Sozialdemokratie gegen den Krieg wird zu verdächtigen versuchen, als ermutige sie gerade die Kriegshetzer in Rußland, indem sie die eventuell notwendige Kriegsaktion Deutschlands im voraus zu lähmen drohe. Gegenüber diesem Räsonnement im Stile des „Berliner Tageblatts“ hätte indes das Proletariat nur die kühle Antwort, daß es überhaupt für die Methode, den russischen Kriegsteufel durch den deutschen Kriegsbeelzebub zu vertreiben, keinen Pfifferling gibt. Das klassenbewußte Proletariat kennt eine andere, viel wirksamere und seinem internationalen Klassenstandpunkt viel entsprechendere Methode, dem russischen wie dem vaterländischen Kriegsteufel die Hölle heiß zu machen. Und das ist die Methode, den Kriegsgelüsten der Regierungen den entschlossenen Friedenswillen der Volksmassen entgegenzustellen. Es ist im Grunde genommen die Methode, die in seiner Weise und seinen Verhältnissen entsprechend seit Jahr und Tag das Petersburger Proletariat so glorreich anwendet. Wenn es jetzt noch eine Hoffnung gibt, daß der russische Bär vor den Gefahren des Kriegsabenteuers im letzten Augenblick trotz alledem vielleicht zurückschrecken wird, so ist es einzig und allein der schöne Brand der beginnenden Revolution im eigenen Hause, der diese magische Wirkung auf die herrschende Kamarilla an der Newa ausüben kann. Gelingt es diesmal, den Frieden Europas noch zu wahren, so hat sich Europa dafür nicht bei dem Dreibund, sondern bei dem heldenhaften russischen Proletariat und seiner unerschöpflichen revolutionären Energie zu bedanken. Und ebenso besteht die einzige wirkliche Garantie des Friedens für Deutsch‑

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