Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 428

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tigen Armeen rekrutiert sich, namentlich in seinen höchsten Spitzen, aus feudalen Elementen und hat überall die angeborene Tendenz, die konservative Schicht mitsamt ihrer natürlichen Spitze, dem Monarchismus, zu stützen. Daher periodisch die Gefahren des Staatsstreichs, Gefahren für den Parlamentarismus, für die Demokratie. Daher periodisch heftige Krisen, in denen das Werkzeug gegen den Meister rebelliert, das Militär aus dem Diener der Bourgeoisie zu ihrem Herrscher zu werden droht.

Das geschichtliche Pech der Bourgeoisie will es indes, hier wie sonst, daß sie mit eigenen Händen diese ihr drohende Gefahr zu stärken gezwungen ist. Zwei tief in der heutigen Entwicklung wurzelnde Tendenzen arbeiten nämlich unausgesetzt dahin, das politische Übergewicht der Armee im Staate wie zugleich immer mehr das Hineinzerren der Armee in die inneren Klassenkämpfe der Gesellschaft zu steigern. Und das sind: der Imperialismus mit seinem lawinenartigen Wachstum der Heere, mit seinem Kult der brutalen Militärgewalt, mit seiner überragenden selbstherrlichen Stellung des Militarismus gegenüber der Gesetzgebung und auf der anderen Seite die ebenso lawinenartig wachsende Arbeiterbewegung mit der Verschärfung der Klassengegensätze und dem immer häufigeren Gebrauch des Militärs gegen das kämpfende Proletariat. Es ist einer von den tragischen Konflikten der bürgerlichen Gesellschaft, daß dieselbe Bourgeoisie, die auf Schritt und Tritt die „Vaterlandsverteidiger“ zu Zwecken der wirtschaftlichen Ausbeutung und politischen Unterdrückung gegen die aufstrebende Arbeiterklasse gebraucht, von derselben Armee fordert, sie soll sich von jeglicher Einmischung in politische Kämpfe fernhalten und einfach „dem Gesetz“ gehorchen. In diesem Konflikt liegt aber auch der Grund, weshalb für uns die englische Krise wie die Zabernaffäre ein ganz anderes Gesicht haben und haben müssen als für die Bourgeoisie. Armee oder Republik! lautete die Kampflosung vor 15 Jahren in Frankreich. Armee oder Zivilgewalt – war das Dilemma der liberalen Bourgeoisie in der Zabernaffäre. Armee oder Parlament – schallt es heute aus dem liberalen Lager in England. Diese bürgerlich-liberalen Losungen suchen mit dem Problem fertig zu werden, wie das reaktionäre Offizierkorps dem Klasseninteresse der Bourgeoisie unterzuordnen ist.

Die andere Seite der Medaille in allen diesen Konflikten ist aber, daß der eigentlichen Armee, d. h. der großen Masse der Soldaten, der Kadavergehorsam gegenüber diesen selben Offizieren zur Pflicht gemacht wird, wo sie gegen die heiligsten Interessen des kämpfenden Proletariats ins Feld geschickt werden. Je mehr das Gebot, auf Vater und Mutter zu schießen, oder verbrecherischer Völkermord zu Zwecken imperialistischen

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