Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 423

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-3/seite/423

nur noch auf die Bajonette sich stützt, sie hat nichts anderes als ein Todesurteil über sich ausgesprochen. Nun, verehrte Anwesende, wir sollen zu den Soldaten laufen, uns vor die Kasernen stellen und ihnen sagen: Schießt ja nicht, dann sind die Kriege aus. Ei, wir brauchen das gar nicht, wir verlassen uns auf die Früchte unserer allgemeinen Volksbildung. Wir wissen, daß der Kopf des deutschen Arbeiters, der einmal von der internationalen sozialdemokratischen Lehre durchleuchtet ist, daß der nicht dümmer wird, wenn auf ihm ein Helm mit Schuppenketten sitzt. Wir wissen und verlassen uns darauf, daß die Brüder des deutschen Arbeiters, die einmal von dem Gefühl, von dem erhebenden Gefühl der internationalen Völkersolidarität und von der Menschenliebe erfüllt wurden, daß diese Brüder nicht untreu werden dem Gebot der Menschlichkeit, auch wenn sie im Rock des Königs stecken. Verlassen Sie sich ruhig auf die geschichtliche Dialektik, die von selbst dazu führen muß, daß früher oder später die große Volksmasse unseres wirklichen Vaterlandes sich erheben und sagen wird: Nun ist es genug der verbrecherischen Politik, die bisher betrieben wurde.

Und, Parteigenossen, ich glaube, daß wir bereits tüchtig vorwärtsgekommen sind in diesem aufwühlenden Handwerk der Aufklärung. Und wenn Sie irgendwo ein Zeugnis haben wollen, wie sehr wir schon vorwärtsgekommen sind, so bitte ich wiederum, Ihre Blicke auf meinen Gewährsmann, den Frankfurter Staatsanwalt (Heiterkeit.), zu richten. Von den fürchterlichen Gefahren, die dem deutschen Staate und der deutschen Armee und dem deutschen Militarismus als Folgen drohen, wenn sie auch einerseits eine Lächerlichkeit sind, vom Standpunkt des Militarismus aus gesehen, so verrät sich auch hier, wie so manches einfältige Wort einen tiefen Kern [enthält], unwillkürlich verrät es auch hier eine Tatsache, die für uns von unschätzbarem Werte ist. Denn hier hat sich gezeigt in dieser Schilderung, daß das herrschende militaristische System dasjenige verloren hat, was die wirkliche Bürgschaft jedes Sieges ist: Es hat verloren den Glauben an sich selbst.

Verehrte Anwesende! So wie in dieser geschilderten Angst vor den Meutereien, die ausbrechen werden, vor den furchtbaren Folgen der Erschütterung für das Fundament der militaristischen Kraft Deutschlands: noch nie hat man uns mit dieser Offenheit gezeigt, wie sehr das herrschende System, das gegen uns brutal auftritt, in seinem Innern bereits morsch, von der Angst zerfressen, bereits feige geworden ist. (Lang andauernde Zustimmung.) Was ist’s anderes, jenes Wort des Herrn Staatsanwalts mitsamt dem Urteil? Denn dieses Urteil hat jedes Wort erst

Nächste Seite »