Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 420

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gesprochen worden.[1] (Allgemeine Pfuirufe.) Derjenige, der gegen den Krieg agitiert, muß auf ein Jahr ins Gefängnis wandern.

Verehrte Anwesende! Ein bißchen kann man auch Entrüstung darüber verspüren. Aber ich versichere Sie, wenn Sie sich recht in die Sache hineindenken und wenn Sie so recht von Herzen Sozialdemokraten sind, so tun Sie das, was ich auf meinem Armensünderbänklein tat, als das Gericht das Jahr Gefängnis verlas: Ich habe gefrohlockt und mich gefreut. Denn ich habe verstanden: Das ist ein Meisterstück, um uns Sozialdemokraten einen gewaltigen Schritt wieder vorwärtszubringen. („Sehr richtig!“ „Bravo!“) Die Herren Richter mit ihrem Staatsanwalt wie die lieben verehrten bürgerlichen Blätter des christlichen Staates und der konservativen Scharfmacher – denn auch darin bilden sie alle zusammen gegen uns einen Großblock – wie auch die Nationalliberalen, sie haben diesmal ein wenig zu früh gefrohlockt über Frankfurt, denn das Urteil ist ein Teil von jener Macht, die stets das Böse will und oft das Gute schafft.

Parteigenossen! Wir stehen ja am Vorabend der Roten Woche[2], jener Woche, da jeder Sozialdemokrat und jede Sozialdemokratin es als eine besonders ehrenvolle Aufgabe betrachten soll, mit vollen Händen den Samen der sozialdemokratischen Aufklärung nach allen Seiten auszustreuen, neue gewaltige Scharen von Anhängern um die internationale Fahne der Sozialdemokratie zu sammeln. Und nun, unsere lieben Freunde, die Feinde, haben dafür gesorgt, daß sie am Vorabend dieser Woche einen so schönen neuen Gegenstand für die Aufklärungsarbeit finden. Denn, Parteigenossen, jener Ausspruch des Staatsanwalts von dem Lebensnerv des Staates, der in den Bajonetten besteht, und was seine anderen Worte sind, sowie das Urteil, das daraufhin gefällt worden ist, das ist ein unschätzbares Material, das wir nun in die weitesten Volkskreise tragen müssen und zeigen müssen allen denen, die es bis jetzt noch nicht verstanden haben: Seht, so sieht es um Deutschlands Volk aus!

Der Staatsanwalt hat aber noch mehr schönere und verdienstvollere Worte für uns gesprochen. Ich zitiere nach demselben bürgerlichen Bericht der „Post“. Der Staatsanwalt sagte wörtlich, indem er die schwarzen Perspektiven ausmalte, die sich an meine verbrecherische Tat, jene Volksversammlung, anschließen sollen: Man lasse nur ein bis zwei Dutzend derartig verhetzter (das heißt sozialdemokratisch aufgeklärter – R. L.)

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[1] Leutnant von Forstner hatte in einer Instruktionsstunde gegenüber Rekruten geäußert, daß sie für das Niederstechen eines „Wackes“ (Schimpfname für die Elsässer) nicht bestraft, sondern mit 10 Mark belohnt würden. Diese Äußerung war der Anlaß für Protestdemonstrationen der elsässischen Bevölkerung und Ausgangspunkt der Zabernaffäre. (Im November 1913 war es in Zabern (Unterelsaß) zu schweren Ausschreitungen des preußischen Militärs gegenüber den Einwohnern gekommen, die gegen die Beschimpfung der Elsässer durch einen Leutnant der Garnison protestiert hatten. Der Regimentskommandeur Oberst von Reuter ließ die Demonstrationen der Bevölkerung mit Waffengewalt auseinanderjagen und Verhaftungen vornehmen. Diese Vorgänge lösten in ganz Deutschland, selbst bei Teilen des Bürgertums, einen Entrüstungssturm gegen die Militärkamarilla aus, und der Reichstag mißbilligte nach heftigen Debatten mit 293 gegen 54 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen die Stellung der Regierung, die die Vorgänge zu bagatellisieren versuchte. Oberst von Reuter, gegen den vom 5. bis 8. Januar 1914 vor einem Kriegsgericht in Straßburg verhandelt wurde, wurde von aller Schuld freigesprochen und im Januar 1914 vorn deutschen Kaiser demonstrativ mit einem Orden dekoriert.).

[2] Im Jahre 1914 stand der Internationale Frauentag am 8. März im Zeichen des Kampfes für das Wahlrecht und die Gleichberechtigung der Frau. Mit diesem sozialdemokratischen Frauentag wurde die .Rote Woche' der Partei vom B. bis 15. März 1914 eingeleitet, die der Agitation für die Sozialdemokratie und ihre Presse diente. Als Ergebnis konnte ein wesentlicher Mitgliederzuwachs und eine Erhöhung der Abonnentenzahl für die Presse verzeichnet werden.