Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 418

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auch die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, das Privateigentum, den Kapitalismus abzuschaffen. Bis dahin, bis wir so weit sind, dies in Wirklichkeit umzusetzen, wissen wir sehr wohl, daß die internationalen Konflikte nicht zu vermeiden sind. Aber das sagen wir: Wenn es euch, ihr Herrschaften, daran liegt, in Wirklichkeit das Vaterland zu verteidigen, so brauchte man dazu das heutige Militärsystem beileibe nicht; dazu brauchte man nicht eine zwei- bis dreijährige Dienstzeit, dazu brauchte man nicht den Kasernendrill, dazu brauchte man nicht das Niedertreten des Soldaten durch Mißhandlungen. Dazu brauchte man nur das alte Programm der Sozialdemokratie ins Werk zu setzen und das Milizsystem, die Volksbewaffnung, in Deutschland einzuführen. Dann, erst dann, wo der freie Mann aus dem Volke seine Handwaffe in der Hand, zu Hause hat, wo er selbst darüber aus freiem Willen entscheidet, wann und gegen wen das Vaterland zu verteidigen ist, erst dann kann man mit gutem Recht sagen: „Lieb Vaterland, magst ruhig sein.“ (Beifall.) Erst dann, wenn die Verteidigung des Vaterlandes nicht abhängt vom Befehl eines kleinen Dutzend Herren oben, nein, wenn das Volk aus freiem Antrieb, stets bewaffnet, bereit ist, das Land vor einem Überfall zu verteidigen, dann ist das Vaterland ohne Gefahr. Aber merkwürdigerweise, dieselben herrschenden Klassen, die so viel die Notwendigkeit der Verteidigung des Vaterlandes im Munde führen, sie wollen gar nichts hören von diesem von uns seit Jahrzehnten vorgeschlagenen System der Volkswehr oder der Miliz. Sie wissen wohl, warum, sie wissen, daß die Miliz eben nur zur Verteidigung des Vaterlandes taugt, nicht aber zu verbrecherischen Kolonialkriegen, nicht aber dazu, um anderen Völkern ihr Vaterland zu entreißen; und darauf geht die heutige Militärpolitik hinaus. (Allgemeines „Sehr richtig!“.) Deshalb sind die Phrasen von der Notwendigkeit, das Vaterland zu verteidigen, wohlbekannte Mittel, eine Politik zu verschleiern, die das Gegenteil jeder Vaterlandspolitik ist. Man wagt uns gegenüber das Vaterland, seine Ehre, sein Wohl zu vertreten, indem man uns als die vaterlandslosen Gesellen verdonnert.

Parteigenossen! Wir wissen, was in der letzten Zeit wieder an Nachrichten durch alle Zeitungen gegangen ist. Haben Sie vielleicht gelesen von jenem Vorfall in der Kaserne in Magdeburg, wo ein Vaterlandsverteidiger im Königsrock von seinem Vorgesetzten gezwungen worden ist, seine Nase in den Spucknapf zu stecken? (Pfuirufe.) Genossen! So werden Vaterlandsverteidiger heute behandelt in der deutschen Kaserne! Haben Sie den anderen Fall gehört, der sich in Neiße zugetragen hat, wo zwei Soldaten, nachdem sie sich an ihrem Vorgesetzten vergriffen, ihn

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