Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 405

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durch die Hinweise auf meine Massenstreikagitation, an die er die schauerlichsten Perspektiven eines gewaltsamen Umsturzes knüpfte, wie sie eben nur in der Phantasie eines preußischen Staatsanwalts ihr Dasein führen. Herr Staatsanwalt, wenn ich bei Ihnen die geringste Fähigkeit voraussetzen könnte, auf die Gedankengänge der Sozialdemokratie, auf eine edlere historische Auffassung eingehen zu können, so würde ich Ihnen auseinandersetzen, was ich in jeder Volksversammlung mit Erfolg darlege, daß Massenstreiks als eine bestimmte Periode in der Entwicklung der heutigen Verhältnisse nicht „gemacht` werden, so wenig wie die Revolutionen „gemacht“ werden. Die Massenstreiks sind eine Etappe des Klassenkampfes, zu der allerdings unsere heutige Entwicklung mit Naturnotwendigkeit führt. Unsere, der Sozialdemokratie, ganze Rolle ihnen gegenüber besteht darin, diese Tendenz der Entwicklung der Arbeiterklasse zum Bewußtsein zu bringen, damit die Arbeiter auf der Höhe ihrer Aufgaben sind als eine geschulte, disziplinierte, reife, entschlossene und tatkräftige Volksmasse.

Sie sehen, auch hier wieder will mich der Staatsanwalt, wenn er das Gespenst des Massenstreiks in der Anklage vorführt, wie er ihn versteht, eigentlich für seine Gedanken, nicht für die meinigen strafen.

Hier will ich schließen. Nur eines möchte ich noch bemerken.

Der Herr Staatsanwalt hat in seinen Ausführungen speziell meiner kleinen Person viel Aufmerksamkeit gewidmet. Er hat mich als die große Gefahr für die Sicherheit der Staatsordnung geschildert, er hat es sogar nicht verschmäht, sich auf das Kladderadatschniveau herabzulassen, und mich als die „rote Rosa“ gekennzeichnet. Ja, er hat es gewagt, meine persönliche Ehre zu verdächtigen, indem er den Fluchtverdacht gegen mich aussprach für den Fall, daß seinem Strafantrag stattgegeben werde.

Herr Staatsanwalt, ich verschmähe es für meine Person, auf alle Ihre Angriffe zu antworten. Aber eins will ich Ihnen sagen: Sie kennen die Sozialdemokratie nicht! Im Jahre 1913 allein haben viele Ihrer Kollegen im Schweiße ihres Angesichts dahin gearbeitet, daß über unsere Presse insgesamt die Strafe von 60 Monaten Gefängnis ausgeschüttet wurde.

Der Vorsitzende unterbricht: Wir haben keine Zeit, große politische Reden anzuhören. Wir erledigen den Fall juristisch, aber nicht politisch.

Haben Sie vielleicht gehört, daß auch nur einer von den Sündern aus Furcht vor der Strafe die Flucht ergriffen hat? Glauben Sie, daß diese Unmenge von Strafen auch nur einen Sozialdemokraten zum Wanken gebracht oder in seiner Pflichterfüllung erschüttert hat? Ach nein, unser

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