Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 400

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„Befehle“ von oben und der blinde „Gehorsam“ von unten entscheiden, sondern daß darüber die große Masse des werktätigen Volkes entscheidet und zu entscheiden hat. Wir sind der Auffassung, daß Kriege nur dann und nur so lange geführt werden können, als die arbeitende Volksmasse sie entweder begeistert mitmacht, weil sie sie für eine gerechte und notwendige Sache hält, oder wenigstens duldend erträgt. Wenn hingegen die große Mehrheit des werktätigen Volkes zu der Überzeugung gelangt – und in ihr diese Überzeugung, dieses Bewußtsein zu wecken ist gerade die Aufgabe, die wir Sozialdemokraten uns stellen –, wenn, sage ich, die Mehrheit des Volkes zu der Überzeugung gelangt, daß Kriege eine barbarische, tief unsittliche, reaktionäre und volksfeindliche Erscheinung sind, dann sind die Kriege unmöglich geworden – und mag zunächst der Soldat noch den Befehlen der Obrigkeit Gehorsam leisten! Nach der Auffassung des Staatsanwalts ist die Armee die kriegführende Partei, nach unserer Auffassung ist es das gesamte Volk. Dieses hat zu entscheiden, ob Kriege zustande kommen oder nicht; bei der Masse der arbeitenden Männer und Frauen, alten und jungen, liegt die Entscheidung über das Sein oder Nichtsein des heutigen Militarismus – nicht bei dem kleinen Teilchen dieses Volkes, der im sogenannten Rock des Königs steckt.

Und wenn ich das ausgeführt habe, so habe ich zugleich ein klassisches Zeugnis in der Hand, daß es meine, unsere Auffassung in der Tat ist.

Durch einen Zufall bin ich in der Lage, auf die Frage des Frankfurter Staatsanwalts: wen ich damit gemeint hätte, als ich sagte, „wir tun das nicht“, mit einer Frankfurter Rede von mir zu antworten. Am 17. April 1910 habe ich hier im Zirkus Schumann vor etwa 6000 Personen[1] über den preußischen Wahlrechtskampf gesprochen – wie Sie wissen, schlugen damals gerade die Wellen unseres Kampfes hoch –, und ich finde im stenographischen Bericht jener Rede auf Seite 10 die folgende Wendung:

„Werte Anwesende! Ich sage: Wir sind im gegenwärtigen Wahlrechtskampfe wie in allen wichtigen politischen Fragen des Fortschritts in Deutschland ganz allein auf uns gestellt. Aber wer sind ‚wir‘? ‚Wir‘ sind doch die Millionen Proletarier und Proletarierinnen Preußens und Deutschlands. Ja, wir sind mehr als eine Zahl. Wir sind die Millionen jener, von deren Hände Arbeit die Gesellschaft lebt. Und es genügt, daß diese einfache Tatsache so recht im Bewußtsein der breitesten Massen des Proletariats Deutschlands Wurzel schlägt, damit einmal der Moment kommt, wo in Preußen der herrschenden Reaktion gezeigt wird, daß die

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[1] In der Quelle: im Hippodrom vor etwa 9 000 Personen.