Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 399

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nialarmee.[1] Sic sehen, meine Herren, auch hier hat sich der Herr Staatsanwalt in seinem Eifer vergriffen: Er hätte jedenfalls seine Anklage nicht gegen mich, sondern gegen einen anderen erheben sollen.

Doch ich komme zum springenden Punkt der Anklage. Der Herr Staatsanwalt leitet seinen Hauptangriff, die Behauptung, als hätte ich in der inkriminierten Äußerung die Soldaten aufgefordert, im Kriegsfalle, entgegen dem Befehl, nicht auf den Feind zu schießen, von einer Deduktion ab, die ihm offenbar von unwiderleglicher Beweiskraft und von zwingender Logik zu sein scheint. Er deduziert folgendermaßen: Da ich gegen den Militarismus agitierte, da ich den Krieg verhindern wollte, so konnte ich offenbar keinen anderen Weg, kein anderes wirksames Mittel im Auge haben als die Aufforderung direkt an die Soldaten: Wenn euch befohlen wird zu schießen – schießt nicht! Nicht wahr, meine Herren Richter, welcher knappe, überzeugende Schluß, welche unwiderstehliche Logik! Und doch erlauben Sie mir, Ihnen zu erklären: Diese Logik und dieser Schluß ergeben sich aus der Auffassung des Herrn Staatsanwalts, nicht aus der meinen, nicht aus der der Sozialdemokratie. Hier bitte ich Sie um besondere Aufmerksamkeit. Ich sage: Der Schluß, daß das einzig wirksame Mittel, um Kriege zu verhindern, darin bestehe, sich direkt an die Soldaten zu wenden und sie aufzufordern, nicht zu schießen – dieser Schluß ist nur die andere Seite jener Auffassung, wonach, solange der Soldat den Befehlen seiner Vorgesetzten folgt, alles im Staate wohl bestellt sei, wonach – um es kurz zu sagen – das Fundament der Staatsmacht und des Militarismus der Kadavergehorsam des Soldaten ist. Diese Auffassung des Herrn Staatsanwalts findet auch eine harmonische Ergänzung zum Beispiel in jener amtlich veröffentlichten Äußerung des obersten Kriegsherrn, wonach der Kaiser beim Empfang des Königs der Hellenen in Potsdam am 6. November vorigen Jahres gesagt hat, der Erfolg der griechischen Heere beweise, „daß die von unserem Generalstab und unseren Truppen gepflegten Prinzipien bei richtiger Anwendung stets den Sieg verbürgen“. Der Generalstab mit seinen „Prinzipien“ und der Soldat im Kadavergehorsam – das sind die Grundlagen der Kriegführung und die Bürgschaft der Siege. Nun, dieser Auffassung sind wir Sozialdemokraten eben nicht. Wir denken vielmehr, daß über das Zustandekommen und den Ausgang der Kriege nicht bloß die Armee, die

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[1] Am 10. März 1893 hatte August Bebel im Reichstag die unmenschlichen Soldatenmißhandlungen im preußisch-deutschen Heer angeprangert und dabei eine Vorschrift der holländischen Kolonialarmee erwähnt, wonach ein Unteroffizier, würde er Soldaten so mißhandeln, wie es im deutschen Heer geschehe, von den Untergebenen niedergeschlagen werden dürfe, ohne daß diese bestraft werden könnten.