Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 334

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aktion ins Leben rufen mußte, da kommt Genosse Scheidemann und sagt: Was, ihr wollt die Leute auf die Straße treiben, ihr wollt Tausende von Menschenleben gefährden? Und man sah förmlich eine rote Blutlache auf den Straßen Berlins entstehen, bei der bloßen Anregung, gegen den Zarenbesuch eine Demonstration zu machen, wie es der Sozialdemokratie gebührt. Als wenn wir nicht schon in Berlin selbst und in Deutschland vor drei Jahren gewaltige Straßendemonstrationen erlebt hätten, bei denen nicht Tausende von Menschenleben zum Opfer gefallen sind, als wenn wir nicht schon in verschiedenen Ländern und zuletzt auch in Belgien, wie das Genosse Scheidemann 10 Minuten später so schön ausmalte, einen völlig friedlichen Massenstreik hätten entstehen sehen![1] Parteigenossen! Wenn Sie sich auf die Weise die Entschuldigung dafür leicht machen wollen, daß überhaupt nichts getan wurde, nicht einmal gewöhnliche Versammlungen zum Zarenbesuch, nicht einmal ein anständiger Leitartikel im Zentralorgan, dem „Vorwärts“ (Heiterkeit.), so steht es schlimm um Ihre Gründe.

Ein zweites Beispiel: Wenn wir davon sprechen, daß wir in Deutschland wie in allen anderen Ländern mit der eventuellen Anwendung des Massenstreiks durchaus nicht darauf zu warten brauchen, bis der letzte Mann und die letzte Frau ihren Beitrag als organisierte Mitglieder eines Wahlvereins gezahlt haben, wenn wir darauf hinweisen, daß, wo die revolutionäre Situation da ist, wo große historische Aufgaben vor uns stehen, die Organisation der Partei wohl die Kraft und den geistigen Einfluß besitzen wird, um auch unorganisierte Massen mitzureißen, wenn wir darauf hinweisen, daß es verkehrt und falsch ist, das Mitgliedsbüchlein als die ausreichende Legitimation für Klassenkämpfer, für eine revolutionäre Aktion des Proletariats zu betrachten, wenn wir erklären: Die Politik, die Taktik der Partei muß danach angetan sein, um die nötige Begeisterung und Opferfreudigkeit in den großen Volksmassen auch außerhalb der Organisierten zu wecken, denn nur auf diese Weise können wir die gewaltige Schar der Unorganisierten mitreißen und für die Organisation gewinnen – dann kommt Genosse Scheidemann und sagt: Das heißt ja die Organisation herunterreißen. („Sehr richtig!“) Das heißt ja die Disziplinlosigkeit, daß heißt das Mißtrauen gegen die Funktionäre hervorrufen. Genosse Scheidemann hat in seinen Attacken gegen uns ein paarmal von mangelndem Verantwortlichkeitsgefühl und von Skrupellosigkeit gesprochen. („Sehr wahr!“) Ich will solche Ausdrücke nicht gebrauchen, aber ich erlaube mir zu sagen, daß eine solche Art und Weise der Be-

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[1] Am 14. April 1913 begann in Belgien ein politischer Massenstreik für das allgemeine Wahlrecht, der seit Juni 1912 durch ein spezielles Komitee organisatorisch, finanziell und ideologisch im ganzen Lande sorgfältig vorbereitet worden war. An dem Streik beteiligten sich etwa 450 000 Arbeiter. Am 24. April 1913 beschloß der Parteitag der belgischen Arbeiterpartei den Abbruch des Streiks, nachdem sich das belgische Parlament dafür ausgesprochen hatte, die Reform des Wahlrechts in einer Kommission erörtern zu lassen.