Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 331

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Mitgliederzahl nicht in dem gewünschten Maße wächst, daß wir einen teilweisen Stillstand und sogar stellenweise einen Rückgang der Abonnentenzahl unserer Blätter haben. Scheidemann sagte uns, daß jeder verständige Mensch angesichts der Zustände in Preußen, des preußischen Wahlrechts und des schmählichen Ausfalls der letzten preußischen Landtagswahlen[1] erwarten mußte, die Massen würden nun in gewaltigem Zorne sich aufbäumen und zum Kampfe herausrücken. Und Scheidemann sagte: Man muß sich wundern, daß die Massen das nicht tun. Und schließlich hat Scheidemann selbst feststellen müssen ein bedauerliches Abflauen der Bewegung in unserer Partei gegen die Militärvorlage[2]. Auf alle diese Tatsachen, die jedem ernsten Parteiführer ein Anlaß sein mußten zur ernsten Analyse der Zustände, zur Erörterung, wie und wo man die eigentlichen Wurzeln dieser Erscheinungen suchen muß und wie Remedur zu schaffen ist – auf alle diese Tatsachen findet der Parteivorstand nur die leichteste und bequemste Erklärung: Stillstand der Organisation und der Presse? Ei, die Krise ist es, die schuld ist! Und dabei sollen wir uns beruhigen, daß jede Krise wieder die Mauern erschüttert, die wir in der Zeit der Prosperität mit solcher Mühe aufgebaut haben. Der preußische Wahlrechtskampf ist nicht aufgebraust, wie Scheidemann es für selbstverständlich hielt nach dem schmählichen Ausfall der Wahlen. Aber das einzige, was der Vorstand, unsere oberste Behörde, zu sagen hat, ist, daß Scheidemann sich wundern muß darüber. Es würde näherliegen, zu fragen, ob denn nicht unsere Taktik selbst ein bißchen dazu beigetragen hat und ob wir keinen Grund hätten, uns nicht zu wundern, sondern uns zu fragen, was zu tun wäre, um solche Erscheinungen abzuwehren. Und endlich das Abflauen der Massenbewegung gegen die Militärvorlage, gegen die unerhörteste Zumutung des Imperialismus, die wir erlebt haben. Auch dafür hat unsere oberste Behörde sehr ausreichende Erklärungsgründe: Erstens war ja die Annahme der Militärvorlage sicher, und zweitens, nachdem die Besitzsteuern schon feststanden, da mußten sich die Massen sagen – so hat Scheidemann wörtlich gesagt –, nun war das Schlimmste überwunden! Ich mußte mich wundern, daß unsere höchste Parteibehörde eine solche Auffassung hier zum Ausdruck bringen konnte. Wenn es zuträfe, wenn die Massen sich sagen konnten, daß nach der Annahme von Besitzsteuern das Schlimmste bei der Militärvorlage überwunden war, so haben wir uns damit ein Armutszeugnis für die Resultate unserer Agitation und unserer Erziehungsarbeit ausgestellt. („Sehr rich-

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[1] Bei der Wahl der Abgeordneten zum preußischen Abgeordnetenhaus am 3. Juni 1913 hatte die Sozialdemokratische Partei auf Grund des reaktionären Dreiklassenwahlrechts trotz der hohen Stimmenzahl von 775 171 (28,38 Prozent) nur 10 Mandate erhalten, während dagegen beispielsweise die Deutschkonservative Partei bei nur 402 988 (14,75 Prozent) Stimmen 147 Mandate erhielt.

[2] Ende März 1913 war im Reichstag eine Militär- und Deckungsvorlage eingebracht worden, die die größte Heeresverstärkung seit Bestehen des Deutschen Reiches vorsah. Ein Teil der zusätzlichen finanziellen Mittel sollte durch einen außerordentlichen Wehrbeitrag und durch Besteuerung aller Vermögen über 10 000 Mark aufgebracht, der übrige Teil auf die Schultern der werktätigen Bevölkerung abgewälzt werden. Am 30. Juni wurde die Militär- und Deckungsvorlage im Reichstag angenommen. Die sozialdemokratische Fraktion lehnte die Militärvorlage ab, stimmte aber einer einmaligen Vermögensabgabe [dem sogenannten Wehrbeitrag] und einer Vermögenszuwachssteuer zur Finanzierung der Heeresvorlage zu. Der Abstimmung waren scharfe Auseinandersetzungen in der Fraktion vorausgegangen, die damit endeten, daß mit Verweis auf die Fraktionsdisziplin der Widerstand von 37 Abgeordneten unterdrückt wurde. Diese Zustimmung zu den Gesetzen bedeutete das Aufgeben des Grundsatzes „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!“