Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 325

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und Schwung handelt es sich zunächst, sondern um schlichten politischen Inhalt. Ein Parteitag, der nach allem, was wir erlebt haben an schamloser Wahlreformkomödie in Preußen[1], an Verrat der bürgerlichen Parteien, an frechem Hohn der Regierung, an begeisterten Massenkundgebungen vor drei Jahren, ein Parteitag, der nach alledem und nach einer dreijährigen Pause im Wahlrechtskampf heute zur Frage des preußischen Wahlrechts nichts andres zustande brächte als diese matten zwei Sätze, würde sich ein Armutszeugnis ausstellen. Entweder schweigen wir über den preußischen Wahlrechtskampf ganz, oder der Parteitag in Jena muß wenigstens nicht hinter den preußischen Parteitag vom Jahre 1910 zurückschreiten. Dort hieß es in der einstimmig angenommenen Resolution zum Schluß:

„Die Sozialdemokratie Preußens erklärt, daß die Schande und Ungerechtigkeit des Dreiklassenwahlsystems nicht länger erträglich ist; sie fordert deshalb die preußische Regierung und die Parteien des preußischen Landtags auf, das Wahlrecht von 1850 durch ein wirkliches Wahlrecht zu ersetzen.

Die preußische Sozialdemokratie wird mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln einem solchen Wahlrecht die Bahn brechen, eingedenk der historischen Lehre, daß überlebte Staatseinrichtungen zusammenbrechen müssen, sobald eine entschlossene und opferbereite Volksmehrheit den Kampf gegen das Unrecht aufzunehmen bereit ist.

Um einen solchen Wahlrechtssturm nicht nur in Preußen, sondern in ganz Deutschland zu entfesseln, beauftragt der Parteitag die preußische Parteileitung, ungesäumt alle Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, den reaktionären Widerstand zu brechen.“[2]

Das war die Sprache eines Parteitags, der den Kampf um das preußische Wahlrecht wirklich vorwärtsbringen wollte. Auch jener Parteitag hat weder den Massenstreik noch irgendein konkretes Mittel des Vorgehens von heute auf morgen beschlossen, er hat der Parteileitung im Gegenteil völlig freie Hand in der Wahl der Kampfformen gelassen. Aber er hat die Massen zum Kampf, zum „Wahlrechtssturm“ aufgefordert, er hat, wie Singer in seiner Schlußrede sagte, das Signal zum Kampfe gegeben. Und

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[1] Die preußische Regierung hatte am 5. Februar 1910 auf Druck der Massenbewegung (Im Frühjahr 1910 hatte sich in ganz Deutschland eine Massenbewegung für die Erringung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts zum preußischen Landtag entwickelt. Rosa Luxemburg verteidigte die Anwendung des politischen Massenstreiks als objektiv notwendiges Kampfmittel gegenüber der Absicht des Parteivorstandes, die Wahlrechtsbewegung in den alten Bahnen des Parlamentarismus zu belassen, um angeblich die Reichstagswahlen 1912 nicht zu gefährden.) eine Vorlage zur Änderung des preußischen Wahlrechts eingebracht, die aber nur eine geringfügige Änderung der Klasseneinteilung und die direkte Wahl unter Beibehaltung des Dreiklassenwahlrechts vorsah. Die Vorlage wurde durch die Kommissionen des Abgeordnetenhauses und des Herrenhauses abgelehnt. Die machtvollen Wahlrechtskämpfe zwangen die Regierung, die Vorlage am 27. Mai 1910 zurückzuziehen.

[2] Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Preußens, abgehalten in Berlin vom 3. bis 5. Januar 1910, Berlin 1910, S. 127.