Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 326

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das ist es, was auch der Parteitag in Jena allein tun kann, wenn er überhaupt über die preußische Wahlrechtssache eine Resolution annehmen will. Die Kampflinie hingegen hinter den preußischen Parteitag vom Jahre 1910 zurückschrauben wäre das direkte Gegenteil von dem, was die Partei erwartet und was dem Parteiinteresse entspricht.

Der letzte Passus der Resolution beginnt mit der Ablehnung der anarchistischen Auffassung des Massenstreiks, um mit der Aufforderung zum Ausbau der politischen und gewerkschaftlichen Organisation zu enden. Mit der Polemik gegen die anarchistischen Hirngespinste vom Generalstreik als einem allzeit anwendbaren Allheilmittel ergibt sich der Parteivorstand dem harmlosen Vergnügen, Tote und Begrabene nochmals totzuschlagen. Den Gespenstern von Domela Nieuwenhuis[1] und Cornelissen[2], die bereits von den internationalen Kongressen in Brüssel[3], in Zürich[4] und in London[5] überwunden worden sind, dürfte nach zwanzig Jahren wirklich die wohlverdiente Ruhe im Schattenreich gegönnt werden. Freilich findet man heute noch bei vielen Gegnern des Massenstreiks in Deutschland, bei manchen Gewerkschafts- und Parteiführern Anklänge an die anarchistische Auffassung vom Massenstreik, so namentlich, wenn sie öffentliche Debatten über den Massenstreik als ein gefährliches „Spielen mit dem Feuer“ verfemen oder wenn sie das Zustandekommen des Massenstreiks von der Erlaubnis der „Instanzen“ der Partei und Gewerkschaften abhängig machen wollen. Doch hat man diese Auffassung im Auge, dann wäre es treffender und aufrichtiger, sie nicht als anarchistische, sondern als opportunistische abzulehnen, und nur in diesem Falle hätte der polemische Satz in der Resolution einen gewissen Sinn und Zweck.

Der Schluß, der die eigentliche politische Weisung der Resolution enthält, ist die würdige Krönung des Gebäudes: Er geht über die übliche Aufforderung des Wahlvereinsvorsitzenden am Schluß jeder Versammlung zum Beitritt in die Organisationen nicht hinaus. Die Hauptsache,

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[1] Unter Führung des holländischen Sozialdemokraten Domela Nieuwenhuis trat in der internationalen Arbeiterbewegung eine halbanarchistische Gruppe mit der Forderung auf, das Proletariat solle auf jede Kriegserklärung, unabhängig von den konkreten historischen Bedingungen, mit einem Generalstreik antworten und den Wehrdienst verweigern.

[2] Christian Cornelissen vertrat die Idee vom Generalstreik als einzigem Mittel zum Sturz der kapitalistischen Klassenherrschaft. Durch den Sieg des Generalstreiks werde mit einem Schlage das Ende der kapitalistischen Ausbeutung herbeigeführt. Cornelissen verkannte die Notwendigkeit, besonders die Arbeiterklasse ideologisch und organisatorisch auf die Revolution vorzubereiten.

[3] Der Internationale Arbeiterkongreß in Brüssel fand vom 16. bis 22. August 1891 statt.

[4] Der Internationale sozialistische Arbeiterkongreß in Zürich fand vom 6. bis 12. August 1893 statt.

[5] Der Internationale sozialistische Arbeiter- und Gewerkschaftskongreß in London fand vom 27. Juli bis 1. August 1896 statt.