Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 302

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Da Kautsky die angebliche „Richtung“, die er bekämpft, hauptsächlich mit Äußerungen aus meinen Artikeln zu belegen sucht, so wird es das einfachste sein, die Behauptungen Kautskys mit meinen authentischen Äußerungen zu konfrontieren. In drei Artikeln der „Leipziger Volkszeitung“ über „Das belgische Experiment“[1] gab ich mir alle Mühe, nachzuweisen, daß sich Massenstreiks nicht künstlich von oben herab auf Kommando machen ließen, daß ein Massenstreik sich nur dann als wirksam erweisen könne, wenn eine entsprechende Situation, das heißt ökonomische und politische Bedingungen gegeben sind, wenn er elementar aus der Steigerung der revolutionären Energie der Massen wie ein Sturm hervorbricht:

„Hier heißt es: entweder – oder. Entweder führt man einen politischen Sturm der Massen herbei, richtiger – da ein solcher sich nicht künstlich herbeiführen läßt – entweder läßt man die erregten Massen im Sturm ausziehen, dann muß alles getan werden, was diesen Sturm unwiderstehlicher, gewaltiger, konzentrierter macht … oder man will keinen Massensturm – dann ist ein Massenstreik aber im voraus ein verlorenes Spiel.“[2]

Und weiter ausdrücklich:

„Der politische Massenstreik ist eben nicht an sich, abstrakt genommen, ein wundertätiges Mittel. Er ist wirksam nur im Zusammenhang mit einer revolutionären Situation, als Äußerung einer hohen, konzentrierten revolutionären Energie der Massen und einer hohen Zuspitzung der Gegensätze. Losgeschält von dieser Energie, getrennt von dieser Situation, verwandelt in ein von langer Hand beschlossenes, pedantisch nach dem Taktstock ausgeführtes strategisches Manöver, muß der Massenstreik in neun Fällen gegen zehn versagen.“[3] (Leipziger Volkszeitung vom 19. Mai.)

In einem anderen Zusammenhang, bei der Erörterung des Massenstreiks als Kampfmittel um das preußische Wahlrecht, sage ich:

„Der Massenstreik ist an sich genausowenig ein wundertätiges Mittel, um die Sozialdemokratie aus einer politischen Sackgasse zu retten oder eine haltlose Politik zum Siege zu führen, wie der Wahlkampf und jede andre Kampfform. Er ist eben an sich auch nur eine Kampfform. Es ist aber nicht die technische Form, die den Ausgang des Kampfes, den Sieg oder die Niederlage entscheidet, sondern der politische Inhalt, die angewandte Taktik im ganzen.“[4]

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[1] Siehe Rosa Luxemburg: Das belgische Experiment. In: GW, Bd. 3, S. 195–207.

[2] Ebenda, S. 204. – Hervorhebung nur hier.

[3] Ebenda, S. 206. – Hervorhebung nur hier.

[4] Rosa Luxemburg: Taktische Fragen. In: GW, Bd. 3, S. 248.