Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 277

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Als es aber zur Abstimmung kam, da verwandelten sich der Druck der 41/2 Millionen Wähler, „die Kräfte“, die für die steigenden direkten Steuern von Tag zu Tag stärker wirken, und der eherne Zwang der Verhältnisse offenbar in blauen Dunst. Denn schon bis zum Herbst sollte ihre Wirkung versagen, und die neuen Besitzsteuern sollten als ein pures Zufallsprodukt einer momentanen parlamentarischen Konstellation betrachtet werden, als ein Glücksfall der Lotterie, der schnell am Schopfe gefaßt werden müßte, damit er ja nicht wieder auf lange Zeit entschlüpfe.

Eins von beiden. Waren die neuen Deckungsmittel der Militärvorlage wirklich nur der erste Anfang einer ganzen im Gang der Dinge liegenden Entwicklung, die uns dahin bringen soll, die Lasten des Militarismus immer mehr auf die besitzenden Klassen abzuwälzen, wie uns das Zentralorgan und die Fraktionsmehrheit versichern, dann ist es lächerlich, davon zu sprechen, daß im Falle der Ablehnung der Deckungsvorlage durch die sozialdemokratische Fraktion am 30. Juni die schöne Gelegenheit nicht mehr wiederkehren würde, daß wir im Herbst unweigerlich anstatt der direkten Steuern zur Strafe neue indirekte Lasten bekommen würden und daß deshalb eine Notwendigkeit vorlag, für das Zustandekommen der neuen Besitzsteuern ein Opfer des sozialdemokratischen Prinzips zu bringen, für die ungeheuerlichste aller Militärvorlagen mit sozialdemokratischen Stimmen Mittel zu bewilligen.

Oder aber hing die Annahme der Besitzsteuern diesmal wirklich nur an einem Haar und würde im Falle der Ablehnung im Herbst keine ernsten Aussichten mehr haben, im Reichstag eine Mehrheit zu finden, dann ist die ganze glorreiche finanzpolitische Perspektive des unvermeidlichen Hineinwachsens Deutschlands in das System der direkten Besteuerung, die uns vorgemalt wird, nichts als ein Humbug.

Der klaffende Widerspruch, der hier zwischen den Worten der Fraktionsmehrheit und ihrer Abstimmung liegt, ist nur eine Probe der allgemeinen Unklarheit ihrer Taktik in diesem Falle.

Doch die Hauptsache: Durch den Hinweis auf die eventuell im Falle der Ablehnung der Deckungsvorlage drohenden neuen indirekten Steuern soll das klerikal-nationalliberale Steuerkompromiß im Geiste unseres Programms als ein Ersatz für indirekte Steuern, als eine wenigstens teilweise Abwälzung der Lasten von den Besitzlosen auf Besitzende erscheinen.

Nun, wir sind in der glücklichen Lage, die Probe aufs Exempel gleich machen zu können. Wir haben es gar nicht nötig, erst durch hypothetische

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