Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 276

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Ist nun die Deckungsvorlage, die in dem Hexenkessel des klerikal-nationalliberalen Kompromisses zusammengebraut worden ist, als eine solche Anbahnung anzusehen? Sind der Wehrbeitrag und die Reichsvermögenszuwachssteuer, die bloß eine Karikatur jeder rationellen Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuer sind und auf Jahre hinaus den Weg zu jeder rationellen Finanzreform in dieser Richtung versperren, ein wenn auch noch so bescheidener Anfang der Ersetzung der indirekten Steuern durch direkte, der Befreiung der arbeitenden Massen von der Finanzlast des Militarismus? Die Mehrheit unsrer Fraktion, deren Wortführer in diesem Falle Südekum und David waren, bringt es fertig, dies zu bejahen, und zwar mit dem Hinweis auf die folgende einfache Tatsache: Hätte die sozialdemokratische Fraktion am 30. Juni nicht zur Annahme der beiden Steuern mitgeholfen, dann würden wir im Herbst todsicher eine viel ungünstigere Konstellation im Reichstag und damit anstatt der Besitzsteuer neue indirekte Steuern bekommen. Der „Vorwärts“ schrieb am 1. Juli über die Abstimmung unsrer Fraktion: „Sie hat sich zur Zustimmung (zu den neuen Steuern – R. L.) entschlossen und dadurch verhindert, daß wiederum, wie bisher, die Lasten der neuen Rüstungen auf die Schultern der breiten Massen abgewälzt worden sind.[1]

Hier verfallen die Verteidiger der Fraktionsmehrheit in einen merkwürdigen Widerspruch mit ihren eigenen Worten und Erklärungen. Auf der einen Seite hören wir, daß die neuen Besitzsteuern unter dem Druck der 41/2 Millionen sozialdemokratischer Wähler zustande gekommen sind, daß wir in diesen Steuern „Anzeichen für den Lauf, den die militaristische Entwicklung nehmen wird“, zu sehen haben: „Die Kräfte, die für die Volkswehr und die progressiv steigenden direkten Steuern wirken, werden von Tag zu Tag stärker. Ob sie wollen oder nicht – die bürgerlichen Parteien mitsamt ihrem regierenden Ausschuß werden gezwungen, die Richtung auf dieses Ziel einzuschlagen.“[2] [Hervorhebung – R. L.] So schrieb der „Vorwärts“ am 28. Juni, zwei Tage vor der definitiven Abstimmung. Und im Reichstag zerschmetterten gleichzeitig Südekum wie David die bürgerlichen Parteien mit düsteren Prophezeiungen, daß nunmehr keine Rettung für sie übrig sei, daß der eherne Zwang der Entwicklung den einmaligen Wehrbeitrag und das Pfuschwerk der Deckungssteuer von Jahr zu Jahr würde unerbittlich wiederkehren und wachsen lassen.

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[1] Ein Ende und ein Anfang. In: Vorwärts, Nr. 164 vom 1. Juli 1913.

[2] Der Kampf um die Deckung. In: Vorwärts, Nr. 161 vom 28. Juni 1913.