Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 180

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abstrakte Idee der Gleichheit, der Menschenliebe versündigten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seit Jahrtausenden, seit das Privateigentum und die Klassenherrschaft bestanden. Die Ausbeutung und die Knechtung behaupteten sich, gediehen, wuchsen und wechselten anscheinend bloß mit dem Fortschritt der Zeiten ihre besonderen Formen, ohne sich im geringsten um die Gerechtigkeit, Vernunft und dergleichen schöne Dinge zu kümmern. Und je gründlicher, je eingehender die großen Apostel des Sozialismus die Grundlagen und die Einzelheiten der geplanten neuen Gesellschaftsordnung ausbauten, je tiefer sie an die Wurzeln der bestehenden Ordnung in ihren Plänen griffen, um so drohender erhob sich die Frage: Wer und wie soll denn diese gewaltige Umwälzung vollbringen, die ganze Welt umstülpen? An die Masse des Proletariats dachten und wendeten sich weder Fourier noch St-Simon, die es auch nur zu kleinen Sekten gebracht hatten. Und auch der Einfluß Owens, der an einer Wiedergeburt der proletarischen Masse arbeitete, ging bald spurlos verloren. Zwischen den elementaren revolutionären Erhebungen des Proletariats in den 30er und 40er Jahren und zwischen der sozialistischen Propaganda bestand kein wesentlicher Zusammenhang.

Nicht viel anders wurde es im Wesen der Sache, als in den 40er Jahren eine neue Generation sozialistischer Theoretiker auftrat, als in Deutschland Weitling, in Frankreich Proudhon, Louis Blanc, Blanqui sich diesmal an die Arbeiterklasse wendeten, um ihr das sozialistische Evangelium zu predigen. Der Sozialismus blieb bei allen ihnen ein Zukunftsplan, dessen Hauptstütze die Nichtswürdigkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung und der jederzeit realisierbar war, sei es durch gewisse schlau ersonnene wirtschaftliche Einrichtungen mit Staatshilfe, sei es durch eine geheim vorbereitete politische Machtergreifung durch eine entschlossene revolutionäre Minderheit.

Das Jahr 1848 sollte der Gipfelpunkt der spontanen revolutionären Erhebungen der proletarischen Massen und zugleich die Kraftprobe des älteren Sozialismus in all seinen Spielarten werden. Als das Pariser Proletariat, aufgewühlt in seinen breiten Schichten durch die Idee einer gerechten Gesellschaftsordnung, durch Traditionen der früheren Revolutionskämpfe und durch die verschiedenen sozialistischen Systeme, seine Machtstellung in der Februarrevolution benutzte, um die Realisierung einer neuen „Organisation der Arbeit“, einer „sozialen Republik“ zu fordern, als es zur Durchführung dieser unklaren Zukunftsprojekte der provisorischen Regierung die berühmte Frist von „drei Monaten Hunger“ zugestand, da endete der Versuch nach Monaten geduldigen Harrens mit

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