Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 179

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kommunistischen Ordnung vorbereiten wollte, so ist die einzige Tatsache, auf die er sich zu stützen weiß, die schreiende Ungerechtigkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung. Diese in den düstersten Farben auszumalen und mit den bittersten Worten zu geißeln, wird er nicht müde in seinen leidenschaftlichen Artikeln, Pamphleten wie in seiner Verteidigungsrede vor dem Tribunal der Revolution. Nach Babeuf genügte die Tatsache, daß die bestehende Gesellschaft ungerecht und wert sei, daß sie zugrunde geht, damit sie auch durch die Machtergreifung einer entschlossenen Handvoll Menschen gestürzt und abgeschafft werden konnte. Es genügte aber leider auch nur ein Zufall, der Verrat eines Mitverschworenen, um Babeuf aufs Schafott und seinen ganzen Plan zum Scheitern zu bringen. Babeuf ging in der reaktionären Sturzwelle unter wie ein schwankes Schifflein, ohne zunächst eine andre Spur zu hinterlassen als eine leuchtende Zeile in den Annalen der Zeitgeschichte.

Wesentlich auf derselben Grundlage beruhen die sozialistischen Ideen, die von Saint-Simon, Fourier und Owen in den 20er und 30er Jahren mit viel mehr Genie und Glanz vertreten wurden. Freilich, an eine revolutionäre Machtergreifung zur Verwirklichung des Sozialismus dachte auch nicht entfernt einer von den drei großen Denkern mehr. Im Gegenteil waren sie ausgesprochene Anhänger friedlicher Propagandamittel. Wie sehr sie jedoch von dem Revolutionär Babeuf in ihrer politischen Stellung und wie sehr sie voneinander in der Richtung und den Einzelheiten ihrer Ideen abweichen mochten, das Entscheidende für die Schicksale der sozialistischen Idee war bei allem ihnen dasselbe: der Sozialismus der St-Simonisten, Fouriers und Owens wie der von Babeuf war in seinem Wesen nur Projekt, Erfindung eines genialen Kopfes, der ihn der geplagten Menschheit zur Verwirklichung empfahl, um sie aus der Hölle der bürgerlichen Gesellschaftsordnung zu retten. Die Kritik, die von den drei großen Utopisten an den bestehenden Verhältnissen geübt wurde, war unendlich schärfer, gründlicher, reicher an Ideen und Beobachtungen, fruchtbarer und tödlicher als bei Babeuf. Ein Vierteljahrhundert der ersten ungezügelten Entwicklung der kapitalistischen Industrie hatte der sozialen Kritik ein ganz andres reiches Material geboten, als es mitten in den heftigen Geburtswehen der modernen Gesellschaft, während der großen Revolution, deren geistiges Kind Babeuf war, erst sichtbar werden konnte. Allein auch diese Kritik war im wesentlichen eine Anklage gegen die bestehende Gesellschaftsordnung, ihre Beurteilung und Verurteilung vom Standpunkte der Moral und der Vernunft. Und gerade deshalb schwebten alle diese sozialistischen Lehren in der Luft. Denn gegen die

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