Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 171

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sinnigen Revolverattentat als Höhepunkt. Die Kindertrompete ist Waffe und Symbol zugleich dieses parlamentarischen Froschmäusekriegs. Und schließlich genügte die Handbewegung eines brutalen Kerls auf der Präsidententribüne, um die ganze Opposition durch den „Leutnant mit zehn Mann“ aus dem Tempel der bürgerlichen Gesetzgebung wie Betrunkene aus der Schenke auf die Straße zu werfen. In diesen traurigen und abstoßenden Hanswurstiaden offenbart sich eine sehr ernste Lehre der Zeitgeschichte: die Ohnmacht der rein parlamentarischen Aktion gegen die herrschende Reaktion.

Die Vorgänge in Ungarn sind in doppelter Hinsicht bezeichnend für das heutige Stadium der Klassenkämpfe. Das Eingreifen der „bewaffneten Macht“ in die parlamentarischen Kämpfe wie der Gegenstand dieser Kämpfe, die Wehrvorlage, zeigen deutlich, wo die Schwäche, die Achillesferse der heutigen parlamentarischen Opposition liegt. Es ist der Militarismus, vor dem das Bürgertum in allen Ländern zusammenknickt und die Waffen streckt. Die ungarische „Opposition“ ist grundsätzlich ebenso Anhängerin des Militarismus wie die herrschende Regierungspartei. Und weil heute in keinem Staate eine bürgerliche Partei mehr wagt, gegen den Militarismus aufzutreten, weil in diesem entscheidenden Punkte sich der innere Verfall des Liberalismus bekundet, so ist damit auch der parlamentarischen Opposition auf allen Gebieten von vornherein das Rückgrat gebrochen. Die liberale Bourgeoisie hat in allen modernen Ländern endgültig vor dem Militarismus kapituliert. Damit aber bestätigt sie, daß ihr heute die Blut- und Eisen-Politik gegen die aufstrebende Arbeiterklasse sowie Kolonialeroberungen und Profite bei den Armee- und Flottenlieferungen wichtiger sind als alle schönen Freiheitslosungen. Die Bourgeoisie hat sich dadurch mitsamt ihrem Parlamentarismus der Reaktion auf Gnade und Ungnade ausgeliefert, und diese Tatsache allein genügt, um alle Träume von einem Zusammengehen der Sozialdemokratie mit dem Liberalismus gegen die Reaktion wie Seifenblasen zerstieben zu lassen. Ein Bündnis zwischen beiden kann nur das eine Ergebnishaben: die Macht der Arbeiterklasse zu lähmen, das proletarische Klassenbewußtsein zu verwirren und die Bourgeoisie noch schneller der Reaktion in die Arme zu treiben. Statt der erhofften Zerschmetterung der Reaktion tritt ihre Stärkung ein. Die Bündnistaktik erweist sich als prinzipieller Verrat an der proletarischen Klassenaufklärung und als praktisches Pfuschwerk obendrein.

Das letzte Jahrzehnt bringt Schlag auf Schlag die Beweise. Hageldicht regnen die Streiche auf die unverbesserlichen Schwärmer für ein soziali-

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