Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 157

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worden ist. Wir haben darauf hinzuweisen, daß wir bei der Umwandlung des stehenden Heeres in ein Volksheer kaum auf die Hilfe des Parlaments rechnen können.“[1]

Braun hat auf der vorigen Versammlung gegenüber meiner Forderung, man hätte die Forderung der Miliz zum Gegenstand einer großartigen Massenbewegung machen sollen, gesagt: Ja, wenn wir auf die Straße gelaufen wären und losgekreischt hätten: Miliz! so hätten wir den Rat bekommen, in eine Kaltwasserheilanstalt zu gehen. Ich empfehle also, die Redaktion des „Vorwärts“ in diese Kaltwasserheilanstalt zu schicken (Heiterkeit.), um so mehr, als sie noch am verflossenen Freitag schrieb: „Wo stehen wir also? Vor dem Feind, der uns rings umgibt! Und wie stehen wir da? In der Hauptsache auf unsere eigene Kraft angewiesen, wie nur je zuvor. Und worin besteht unsere Kraft? Nicht in unserer parlamentarischen Position – sowenig wir auch die parlamentarische Tätigkeit, namentlich deren agitatorische Seite, unterschätzen wollen –, sondern in unserer Verankerung mit dem Volke, in den Wurzeln unserer Kraft, in den Volksmassen selbst, in der Organisation, in dem Klassenbewußtsein und der politischen Regsamkeit und Energie dieser Volksmassen!

Die Massen müssen sich rühren und regen, wenn unseren Aktionen im Parlament Mark und Nachdruck verliehen werden soll. Die Fraktionen können höchstens den Dirigentenstab schwingen, die Musik muß das kraftvoll einfallende Orchester der Volksmassen machen !“[2]

Das hat der „Vorwärts“ über die Ergebnisse der herrlichen Illusionen in bezug auf die Zerschmetterung der Reaktion geschrieben. Ich habe mich sehr gefreut, als ich diesen Artikel las, und mich gefragt: Was hat wohl plötzlich diese Wandlung zum „Antiparlamentarismus“ im „Vorwärts“ hervorgerufen? Vielleicht die vorige Sitzung dieser Versammlung? So oder anders stellt sich heraus, daß der „Vorwärts“, wenn er gezwungen ist, die bestehende politische Lage in ihren wirklichen Konsequenzen zu schildern, genau zu denselben Schlüssen kommt wie wir in unserer Kritik.

Das Gefährlichste an diesem Abkommen sind überhaupt die überschwenglichen Hoffnungen in bezug auf den Parlamentarismus und die Wirkungen der parlamentarischen Schiebungen. Man wollte plötzlich mit Hilfe der Liberalen die deutsche Reaktion zerschmettern, mit denselben Liberalen, die bei jedem Schritt vor der Reaktion zusammenknicken in der elendsten Weise und die jeden Tag von neuem beweisen, daß diese ganze Spekulation nur ein Kartenhaus ist: Die Haltung der Liberalen,

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[1] Herunter mit dem Panzer! In: Vorwärts, Nr. 77 vom 31. März 1912.

[2] Gesetzgebung durch das Volk. In: Vorwärts, Nr. 75 vom 29. März 1912.