Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 156

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möglichkeit, irgendeinen Fehler zu machen. Aber was das Wichtigste ist, das sind die allgemeinen politischen Gesichtspunkte, welche dieser Politik zugrunde liegen und die in der Verteidigung des Parteivorstandes auch zum Vorschein kommen. Es wird durchaus behauptet, daß sich das Stichwahlabkommen in politischer Hinsicht mit einem glänzenden Erfolg gekrönt habe. Wenn man die Sache ruhig und objektiv betrachtet, die Abstimmungszahlen der Stichwahlkreise, so kommt man zu dem Ergebnis, daß in keinem einzigen das Wahlabkommen von den Fortschrittlern wirklich eingehalten wurde. Sie finden nur 4 oder 5 Kreise, in denen die Tugend der Fortschrittler so weit gegangen ist, daß mehr von ihnen für uns als für die Reaktion gestimmt haben. In der überwiegenden Zahl der Wahlkreise haben mehr von ihnen für die Reaktion gestimmt als für uns. („Sehr richtig!“) So ist das Abkommen eingehalten worden!

Die Hauptsache ist doch, daß man erklärt, man habe den Zweck verfolgt, die schwarzblaue Reaktion zu zerschmettern, und daß man jetzt versucht, uns glauben zu machen, daß wir die Reaktion tatsächlich zerschmettert haben. Das Traurigste bei der Sache ist, daß man solche unerhörten Illusionen den Massen beizubringen sucht. („Sehr richtig!“) Der „Vorwärts“ hat behauptet, wir hätten es fertiggebracht, durch unser Abkommen mit den Fortschrittlern die Reaktion und die Regierung zur Ohnmacht zu verurteilen. (Heiterkeit.) Solche Ansichten dürfen doch nicht ungestraft in unseren Reihen verbreitet werden! Denn es ist eine unverzeihliche Illusion, wenn man heute, bei all dem, was wir an Schlägen der Reaktion erleben, den Massen vorspiegeln will, wir seien in der Lage, Reaktion und Regierung zur Ohnmacht zu verurteilen. Und dabei bringt der „Vorwärts“ selbst jeden Tag neue Beweise, daß die Schwarzblauen und die Regierung uns Schritt für Schritt Niederlagen bereiten.

Genosse Braun und der „Vorwärts“ haben versucht, die Kritik an dem Stichwahlabkommen damit abzutun, daß sie die Kritiker des Antiparlamentarismus verdächtigten. Jetzt genügt es, an solchen Illusionen Kritik zu üben, um beinahe zu den Anarchisten geworfen zu werden. Da hat es mich gefreut, in diesen Tagen gerade in einem Leitartikel des „Vorwärts“ sehr gefährliche Seitensprünge in „antiparlamentarischem“ Sinne konstatieren zu können. (Heiterkeit.) Und zwar heißt es in dem heutigen Leitartikel: „Für heute sei nur die Notwendigkeit betont, daß wir Sozialdemokraten gerade in diesen Tagen unsere Forderung eines Volksheeres lauter und nachdrücklicher erheben müssen denn je zuvor. Wir müssen den Massen klarmachen, daß beim heutigen stehenden Heere das Wort vom ‚Volk in Waffen‘ zu einer heuchlerischen und gefährlichen Farce ge-

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