Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 155

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wurde, ihnen 16 Wahlkreise zu überlassen, in denen sie mit unseren Leuten stachen … Daß der Parteivorstand die 16 Kreise nicht einfach, sondern durch die ‚Dämpfung‘ der Agitation preisgegeben hat, macht die Sache eher noch schlimmer als besser. Wäre es in weiten Parteikreisen unseres Erachtens nicht verstanden worden, wenn der Parteivorstand das Stichwahlabkommen mit der Fortschrittspartei von der Schwelle abgewiesen hätte, so würde es gerade auch in diesen Parteikreisen freudig begrüßt worden sein, wenn der Parteivorstand auf die Erpresserbedingung hin die Fortschrittler hätte zu ihren Freunden vom Bülow-Block[1] abfahren lassen.“[2]

Der „Vorwärts“ hat die offizielle Verteidigung des Parteivorstandes übernommen, wenn auch nicht im Namen des Parteivorstandes. Hören wir: „Wenn aber das Abkommen zu dieser Dämpfung unter anderem auch die Verpflichtung rechnete, den Wählern keine Stimmzettel zuzustellen und am Wahltage keine Schlepperdienste zu verrichten, so überschritt es damit die Grenzen des der Situation Entsprechenden, ja des Erreichbaren. Denn den Parteigenossen in den erregten Zeiten einer Wahl unmittelbar vor der Entscheidung jede Betätigung nicht nur agitatorischer, sondern auch organisatorischer Art versagen wollen heißt Unmögliches von ihnen verlangen.

Und ebensowenig am Platze war die Heimlichkeit, mit der das Abkommen eine Zeitlang behandelt wurde … Sollten die Fortschrittler Grund gehabt haben, zu wünschen, daß das ganze Abkommen ein Geheimnis bleibe, dann durfte es überhaupt nicht abgeschlossen werden. So nützlich uns das Abkommen auch erscheint, um den Preis der Umwälzung unserer demokratischen Grundsätze durfte es nicht erkauft werden.“[3]

In diesem Sinne haben sich auch die Genossen in Hamburg, Merseburg und anderen Kreisen ausgesprochen gegen das Abkommen, und bis jetzt kenne ich nicht eine Stimme in der Partei, die diesen Punkt des Abkommens des Parteivorstandes verteidigen würde. Vielleicht tut es Genosse Kolb jetzt in seinem Blatt. (Lebhafte Heiterkeit. – Ledebour ruft: „Das ist auch noch nicht mal sicher!“)

Es kommt ja nicht darauf an, ob ein einzelner Fehler in der Taktik, der praktischen Politik vom Parteivorstand gemacht wurde oder nicht. Niemand von uns verlangt vielleicht von ihm Fehlerlosigkeit und die Un‑

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[1] Nach den Reichstagswahlen von 1907 hatten sich die Konservativen, die Nationalliberalen und die Linksliberalen zum Bülow-Block, auch Hottentottenblock genannt, zusammengeschlossen. Gestützt auf diesen Block, war es Reichskanzler Bernhard von Bülow möglich, im Reichstag eine Reihe reaktionärer Gesetze und Maßnahmen durchzusetzen.

[2] Franz Mehring: Präsidial- und andere Fragen. In: Franz Mehring: Gesammelte Schriften, Bd. 15, Berlin 1966, S. 582, 583.

[3] Unser Stichwahlabkommen. In: Vorwärts (Berlin), Nr. 56 vom 7. März 1912.