Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 154

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Die Genossen in Solingen haben sich in ihrer Kreisgeneralversammlung am 10. März mit dem Abkommen beschäftigt. Der Referent, Genosse Wendemuth, verteidigte das Stichwahlabkommen und den Parteivorstand. Als er aber zur Dämpferklausel kam, hat er gesagt: „Da wurde nämlich ausgemacht, daß wir in 16 Wahlkreisen bis zum Stichwahltag ‚keine Versammlung abzuhalten, kein Flugblatt zu verbreiten, keine Stimmzettel den Wählern zuzustellen und am Wahltage selbst keine Schlepperdienste zu verrichten‘ hätten, ‚wogegen es uns freisteht, am Wahltage vor den Wahllokalen Stimmzettel zu verbreiten‘. Das muß verurteilt werden, denn eine solche Abmachung ist unserer Partei unwürdig. Entweder soll man kämpfen oder soll es nicht. Auf keinen Fall aber soll man den Schein erwecken, als ob man kämpft und tut es doch nicht.“

Die „Schwäbische Tagwacht“, ein Organ nicht des äußersten Radikalismus (Heitere Zustimmung.), schreibt: „Der ‚gedämpfte‘ Wahlkampf ist überhaupt eine ganz neue Erfindung. Wir hätten gewünscht, er wäre nicht erfunden worden … Wenn die Volkspartei als Bedingung für das Zustandekommen eines Stichwahlabkommens eine derartige Forderung stellte, mußte sie trotzdem und unter allen Umständen vom Parteivorstand abgelehnt werden … Die Kritik, die sich an das Abkommen knüpfte, wird sicherlich auch dazu führen, daß die Partei für die Zukunft von ähnlichen Vereinbarungen verschont bleibt. Welche Situationen die Zukunft bringen wird, läßt sich heute nicht sagen. Aber das muß mit allem Nachdruck ausgesprochen werden: Zumutungen, wie sie in dem diesjährigen Stichwahlabkommen an die Parteigenossen gestellt wurden, dürfen sich unter keinen Umständen wiederholen; der Vorstand einer demokratischen Partei, wie sie die Sozialdemokratie darstellt, muß sich von solchen Abmachungen fernhalten, die zu verteidigen ihm selber sehr schwerfallen muß.“

So geht es auch weiter. Die Parteiblätter in Erfurt, Halle, Göppingen haben das Abkommen, namentlich die Dämpferklausel, auf das schärfste verurteilt. Sie aber sind leider darüber nicht informiert, weil Ihr Organ die Pflicht versäumt hat, Sie auf dem laufenden zu halten über das geistige Leben in der Partei. („Hört! Hört!“) Deshalb konnte man es Ihnen so darstellen, als ob das Karnickel, das die ganze Sache angefangen, hier oben auf der Tribüne vor Ihnen stände. (Heiterkeit.) Das ist aber gar nicht wahr. In unserem wissenschaftlichen Organ, der „Neuen Zeit“, hat im Leitartikel vom 15. März Genosse Mehring das Abkommen genauso scharf verurteilt wie ich und andere. Er schreibt: „Allein es ging über die erlaubte Grenze hinaus, als dem Ansinnen der Fortschrittler nachgegeben

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