Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 153

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Primadonnen sagen könnten: Wenn die Fortschrittler die Klausel der Dämpfung unserer Agitation in 16 Kreisen zu einer unerläßlichen Bedingung des Abkommens gemacht haben, hätte man die Herren Fortschrittler in beschleunigtem Tempo die Treppe hinunterbefördern sollen. Ich glaube, wenn unser Zentralorgan, der „Vorwärts“, nicht so sehr seine Pflicht als Informationsorgan vernachlässigen würde, dann würden Sie alle wissen, daß nicht bloß ich diese Ansicht vertreten habe, sondern daß von den verschiedensten Seiten in der Partei genau dieselbe Auffassung vertreten wurde. („Hört! Hört!“)

Schon am 17. Februar, also lange vor mir, schrieb unser Elberfelder Parteiorgan, die „Freie Presse“, über das Stichwahlabkommen: „Wir bemerkten schon, es nicht billigen zu können, daß sich unsere Parteileitung auf die Dämpferklausel eingelassen hat. Wir kämpfen nicht nur bei Wahlen, sondern fortgesetzt. Und wenn dann die Genossen eines Wahlkreises jahrelang fleißig gearbeitet und besonders den herangekommenen Wahlkampf mit großer Bravour geführt, Erfolge errungen haben und in die Stichwahl gekommen sind, so kann man ihnen auch dort, wo wenig Aussicht auf einen Sieg ist, nicht kurz vor der Stichwahl zumuten: ‚Jetzt müßt ihr euch bis nach der Stichwahl politisch tot erklären.‘ Das geht nicht, gerade auch wegen der Disziplin. Man darf nicht Unmögliches von den Genossen verlangen, wenn die von den Gegnern so oft bewunderte Disziplin in der Partei hochgehalten werden soll. Nun kann man geltend machen, daß von der Annahme der Dämpferklausel es abhängig war, ob das Stichwahlabkommen zur Tatsache werden sollte oder nicht. Da sind wir nun der Meinung, daß man bei einem so hohen Preis lieber auf das Abkommen verzichtet hätte.“

Auch eine kapriziöse Primadonna in Elberfeld! (Lebhafte Heiterkeit.) Das Organ der Parteimitgliedschaft von Rüstringen, die nicht gerade im Geruch des äußersten Radikalismus steht, das „Norddeutsche Volksblatt“, schrieb: „Die Sozialdemokratie ist keine Partei, in der nach einem siegreichen Wahlkampfe Ruhe als die bekannte erste Bürgerpflicht betrachtet wird. Im Gegenteil, in ihren Reihen ist es von jeher Sitte gewesen, sich ständig selbst zu prüfen, mögen auch Wochen und Monate nach den jeweilig in Frage kommenden ‚Fällen‘ vergangen sein. Die Stichwahltaktik des Parteivorstandes haben auch wir nicht gebilligt, und nur aus Disziplingründen haben wir uns gefügt. Auch die kürzlich den Redaktionen übermittelte Begründung durch denselben fand nicht unseren Beifall. Aus diesem Grunde geben wir eine Rede wieder, die Genossin Luxemburg

am 1. März vor der Bremer Arbeiterschaft hielt. Die Redaktion.“

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