Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 143

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auch erscheint, um den Preis der Umwälzung unserer demokratischen Grundsätze durfte es nicht erkauft werden.“[1]

Doch genug! Wir überlassen es dem Verteidiger des Vorstands, selbst festzustellen, wieviel von dem Stichwahlabkommen nach seiner Verteidigung übriggeblieben ist. Nur eine bescheidene Frage sei noch gestattet: Muß man denn wirklich, um sich gegen eine derartige Taktik zu wenden, ein „Antiparlamentarier“, Anarchosyndikalist, Anarchist sein? Der Gewährsmann des Vorstands macht nämlich den Versuch, indem er auf den bekannten Saiten des Antiparlamentarismus und den Schlagworten aus dem Jargon der Syndikalisten leise klimpert, uns in die „antiparlamentarische“ Position zu drängen. Die Bewertung des Abkommens des Vorstands, sagt er, hängt in hohem Maße von der Bedeutung ab, „die man der Stellung und Tätigkeit unserer Partei im Reichstag und den Parlamenten überhaupt für die Klassenkämpfe des Proletariats, dessen Aufrüttelung und Organisierung als Klassenpartei beimißt. Wer darüber geringschätzig denkt, wird natürlich das Stichwahlabkommen verwerfen müssen. Aber mit den Argumenten der direkten Massenaktion, die man dagegen ins Feld führt, könnte man jede Beteiligung an den Stichwahlen, ja schließlich die Wahlbeteiligung selbst für unnütz erklären.“[2] [Hervorhebung – R. L.]

Da wir also von der Stichwahltaktik des Vorstands nicht entzückt sind – derselben Taktik, die nach dem Feldzug ihres offiziellen Verteidigers im „Vorwärts“ ungefähr aussieht wie ein Porzellanladen, in dem ein Faustkampf stattgefunden hat –, so denken wir „geringschätzig“ über die Tätigkeit im Reichstag überhaupt, so erklären wir „für unnütz“ die Wahlbeteiligung selbst. Solche polemischen Wendungen verraten immer nur die Verlegenheit. In Wirklichkeit ist es klar, daß nichts imstande ist, den parlamentarischen Kampf der Sozialdemokratie in den Augen der Massen so zu kompromittieren, für den rohen antiparlamentarischen Aberglauben in der Art des französischen Syndikalismus so sehr den Boden zu bereiten wie gerade parlamentarische Illusionen und parlamentarische Kulissenschiebereien in der Art unsrer jüngsten Taktik bei den Stichwahlen.

Dafür zum Schluß nur noch ein Beispiel. Der Verteidiger im „Vorwärts“ findet, in seinem verzweifelten Suchen nach vorteilhaften Seiten des Stichwahlabkommens, wenigstens eine gute Seite. Nachdem er zugegeben, daß die schönen Perspektiven, die sich der Vorstand von der

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[1] Unser Stichwahlabkommen. In: Vorwärts, Nr. 56 vom 7. März 1912.

[2] Ebenda.