Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 14

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auch mit ihren Pflichten ins Hintertreffen geraten ist, ob die Aktion selbst nicht darunter leidet, daß sich die berufene politische Vertretung der deutschen Arbeiterklasse nicht an ihre Spitze gestellt und alle ihr zu Gebote stehenden Machtmittel entfaltet hat.

Wir haben bereits vor einer Woche an dieser Stelle dargetan[1], daß die Passivität des Parteivorstands der gegenwärtigen Kriegshetze gegenüber nicht auf einem Zufall beruht, sondern auf einer unseres Erachtens ganz verfehlten taktischen Rücksicht auf die bevorstehenden Reichstagswahlen[2]. Daß die zu raffinierten Spekulationen des Parteivorstands in diesem Falle den Gefühlen, dem Tatendrang der Massen durchaus nicht entsprechen, bewiesen der glänzende Verlauf und die stürmischen Kundgebungen der Berliner Versammlung. Daß das künstliche Trennen der innerpolitischen Fragen von der Weltpolitik bei der Reichstagswahlagitation, das wir an dieser Stelle am 24. Juli kritisierten, der Auffassung weiter Parteikreise ebensowenig entspricht, beweist u. a. die Äußerung unsres Zentralorgans vom 26. Juli, welches über die Marokkoaffäre schrieb:

„Diese Spannung und die Unsicherheit der politischen Situation zwingen die Völker, d. h. die arbeitenden Massen, über deren Köpfe hinweg Diplomaten und kapitalistisch interessierte Kreise Welthändel anzetteln und politische Intrigen spinnen, doppelt auf ihrer Hut zu sein. Das gilt vor allem für das deutsche Volk. Denn in Deutschland hängt der ganze Marokkokonflikt mit all seinen Begleit- und Folgeerscheinungen eng mit der innerpolitischen Situation zusammen. Die kommenden Reichstagswahlen werden sicher in engster Beziehung zu ihm stehen. Die Kundgebungen der konservativen Partei und das Verhalten der bürgerlichen Presse zeigen uns jetzt schon, daß unsere Gegner gern wieder mit kolonialen Schwindelmanövern und ‚nationalen‘ Betäubungsmitteln arbeiten möchten. Da unsere Genossen im Reiche fast überall schon in die Wahlagitation eingetreten sind, muß der Marokkorummel in seinem ganzen Umfange mit in den Bereich der Aufklärung gezogen werden. Die alldeutschen Blätter schreiben, daß das ganze deutsche Volk mit ihrer Marokko- und Kriegshetze einverstanden sei, und weite Kreise im Auslande glauben das. An der Sozialdemokratie ist es, schon jetzt darzutun, daß die Massen des arbeitenden Volkes von imperialistischen Gewaltstreichen nichts wissen wollen. Wenn es bis jetzt hier und da Genossen gegeben hat, die dem Marokkogezänk nicht viel Bedeutung beigelegt haben, so muß ihnen jetzt gesagt werden, daß der gegenwärtige Konflikt

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[1] Siehe S. 5–11.

[2] Siehe S. 6, Fußnote 3.