Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 126

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-3/seite/126

Jeden Tag bringt die Zeitung neue Meldungen über das gewaltige Zusammenballen des industriellen Finanzkapitals in Deutschland. Deutschland marschiert jetzt förmlich an der Spitze des gewaltsamen Zusammenraffens der Kräfte des Kapitals. Die Macht des Bankkapitals tritt in keinem Lande so deutlich zutage wie in Deutschland in den letzten Jahren. Auch die Macht der Kartelle ist in Deutschland in der klarsten und schärfsten Weise zum Ausdruck gekommen. Den kolossalen Machtzuwachs des herrschenden Kapitals beweist schon die Tatsache, daß die preußische Regierung in das mächtige Kartell der rheinisch-westfälischen Kohlensyndikate als Mitglied eingetreten ist. Um die Bedeutung dieser einfachen Zeitungsmeldung einzusehen, muß man sich erinnern, daß die preußische Regierung noch vor wenigen Jahren den Versuch gemacht hat, mit demselben Kartell einen Kampf auszufechten. Wer ist nun zu Kreuze gekrochen? Das war nicht das Kapital, sondern die Regierung. So zeigt sich, daß das Kapital über alle Schranken, auch über die Regierungspolitik, hinwegschreitet.

Noch eine andere Erscheinung. Sie werden alle mit großer Aufmerksamkeit den Kampf verfolgt haben, der kurz vor der Reichstagswahl im Berliner Metallgewerbe ausgebrochen war.[1] Es kam damals um ein Haar zu einer Aussperrung von 50 000 bis 60 000 Metallarbeitern in Berlin und Umgegend. Es ist im letzten Moment dazu gekommen, daß sich die Arbeiter, wenn auch zähneknirschend, gefügt haben. Ist das das erste Mal? Gerade im letzten Jahre haben wir nicht weniger als drei gewaltige Kraftproben im deutschen Metallgewerbe erlebt, die erste in Hamburg. Schon damals hat das Kapital gedroht, an den gesamten deutschen Metallarbeitern Rache zu nehmen dafür, daß eine kleine Gruppe von Arbeitern es gewagt hat, an den Ketten des Kapitals zu rütteln. Ist es nicht für jedermann klar, daß das nicht alles Zufälligkeiten, sondern Symptome einer allgemeinen Verschiebung der Kräfte sind, die jedem klar zeigen, daß wir nicht herumkommen um eine gewaltige Auseinandersetzung mit dem Kapital? Die ewigen Drohungen mit den Aussperrungen zeigen, daß das Kapital begriffen hat, was das gewaltige Aufstreben und die Organisation der Arbeiterschaft bedeuten. Worum handelt es sich bei den Kämpfen im Metallgewerbe? Beileibe nicht um ein paar Pfennig Lohnzulage. Es handelt sich um ein Prinzip, um Tod und Leben der Gewerkschaft, es handelt sich darum, der Arbeiterschaft die Waffe aus der Hand zu schlagen.

Wir haben noch andere Symptome erlebt, die uns zeigen, bis zu welchem

Nächste Seite »



[1] Siehe S. 72, Fußnote 1.