Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 81

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können. Sie täuschten sich aber: Die Kraft und die Macht der Gewerkschaften lägen nicht in deren Kassen, sondern in der Opferfreudigkeit und Solidarität ihrer Mitglieder. (Tosende Zustimmung.) Alle Machinationen der Herren würden darum an der Arbeiterbewegung zerschellen wie Glas am Granit. Aber mit der Tatsache selbst müsse gerechnet werden, daß das, was heute hier geschehe, morgen dort geschehen kann, wenn nicht die Angriffe mit voller Wucht und breiter Brust abgewiesen würden. Die Zeit des Friedens und der partiellen Kämpfe sei vorbei, sowohl auf politischem wie auch auf wirtschaftlichem Gebiete. Und nun noch etwas, was scheinbar ein entlegenes Gebiet streife, aber durchaus verwandt sei mit den gestreiften Punkten: Die Nachrichten aus China von dem siegreichen Vordringen der Revolution.[1] China und Revolution! Es genüge, um von einer Weltwende zu sprechen! In China proklamiere man die Republik; wir aber leben in Deutschland unter einem chinesischen Mandarinentum. Wenn das vieltausendjährige chinesische Reich den modernen Stürmen nicht mehr standhalten könne, dann sollte das kleine Misthäuflein der deutschen Reaktion dem Fortschritt trotzen können? (Minutenlanger, tosender Beifall.) Wohl stellten auf den ersten Blick die aufgeführten Erscheinungen verschiedene Gebiete dar, wer aber tiefer blicke, sehe, daß sie sich alle vereinigten zu einem geschlossenen Ringe fortschreitender sozialer Gesinnung und Entwicklung. Wir sähen das Hungergespenst über die Erde schreiten und vernähmen aus anderen Ländern die Kunde von Hungerrevolten. Bei uns seien ja nun keine zu verzeichnen, der aber würde sich irren, der meinte, daß, weil wir keine Revolten haben, bei uns auch keine Not vorhanden wäre. Ebensowenig käme der Polizei das Verdienst für die Ordnung zu. Wenn alles geordnet gehe, so sei es nur der Aufklärung und der Erziehung der Sozialdemokratie zu verdanken, die nicht durch chaotische Aufstände, sondern durch bewußten, planmäßigen Kampf die Not des Volkes bessern wolle.

Mit beredten Worten wendet sich die Rednerin an die Frauen, schildert ihre Lage, ihre Rechtlosigkeit sowie auch ihre Pflichten und Aufgaben. Jede Frau aus dem Volke heute, die es fertigbringe, die Familie über Wasser zu halten und ihre Kinder anständig zu erziehen, könne jeden Finanzminister in die Tasche stecken und erbringe schon hiermit das Reifezeugnis für die Wahl- und Stimmberechtigung. Mit vernichtender

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[1] Im Oktober 1911 hatte mit dem Aufstand in Wutschang die bürgerliche Revolution in China begonnen. Die Führer des Aufstandes beschlossen, die Republik auszurufen, und forderten alle Provinzen auf, sich dem Aufstand anzuschließen. Bis Ende November 1911 hatten sich 15 Provinzen für unabhängig von der Mandschu-Regierung erklärt. Am 1. Januar 1912 wurde die Chinesische Republik proklamiert und Sun Yat-sen zum Provisorischen Präsidenten gewählt.