Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 474

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Begründung. Weil wir zu einem gewaltigen Kampf um das bedrohte Koalitionsrecht rüsten müssen, so ist es vor allem nötig – just den Posten aufzugeben, auf dem die Arbeiterschaft fünfundzwanzig Jahre lang das Koalitionsrecht wie alle ihre Rechte und Forderungen verteidigte! Zwar sollen gerade die durch die Abschaffung der Maifeier „frei gemachten Kräfte“ auf die anderen großen Abwehraktionen konzentriert werden. Allein, die künftigen Großtaten zum Schutze des Koalitionsrechts bleiben in dem Beschluß der Hamburger Partei- und Gewerkschaftsführer vorerst noch im Nebel vager Redensarten und Drohungen. Was und wie es getan werden soll, um den Angriffen auf das Koalitionsrecht zu begegnen, das ist auch nicht in den allgemeinsten Umrissen angedeutet worden. Hingegen bleibt als die einzige sehr greifbare praktische Maßnahme, die um jener künftigen Großtaten willen vorgenommen wird, die Abschlachtung der Maifeier, d. h. die freiwillige Aufgabe eines alten Kampfpostens für den Achtstundentag, also die Kernfrage des Gewerkschaftskampfes.

Für die Kraftproben der nächsten Zukunft, die immer größeren Opfermut und Idealismus erfordern werden, soll als die geeignetste Schulung und Vorbereitung gelten, daß man die Maifeier abschafft, gerade weil sie uns Opfer kostet! – Daß eine solche Taktik einzig dazu führen kann, die Massen zu demoralisieren und die Scharfmacher noch frecher zu machen, kann sich jeder an den Fingern abzählen, der aus der Geschichte der liberalen und freisinnigen Kampfstrategie etwas gelernt hat.

Doch es gibt noch mehr Momente, die den Einfall der Hamburger Genossen so ziemlich als den verkehrtesten erscheinen lassen, den man zu erwarten hätte. Im Mittelpunkt des politischen Lebens und des Klassenkampfes in Deutschland steht heute der Militarismus und der Kampf um den Weltfrieden. Die Maifeier ist aber eine Kundgebung gleichermaßen für den Achtstundentag und für den Weltfrieden.

Die ganze innere und auswärtige Politik wird immer mehr beherrscht vom Imperialismus, gegen den die internationale Solidarität des Proletariats immer mehr zur aktuellen, praktischen Macht ausgestaltet werden muß. Die Maifeier ist aber bis jetzt die einzige regelmäßige internationale gemeinsame Aktion des Proletariats.

Endlich geht die ganze Entwicklung der Verhältnisse dahin, den Schwerpunkt des politischen Lebens und der Entscheidungen in wichtigen Momenten aus den Parlamenten in die großen Massenaktionen zu verlegen. Die Maifeier ist aber bis jetzt in Deutschland – und von allen kapitalistischen Staaten in Deutschland allein – die einzige nichtparlamentarische Aktion der Massen geblieben.

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