Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 469

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künftigen Massenstreik bei den Arbeitern die Vorstellung erwecken, als sei das gesammelte Geld nun die eigentliche Vorbereitung der Kampfaktion, deren Gelingen von der Höhe der eingebrachten Summe abhängig, deren Beginn an ein bestimmtes Minimum dieser Summe geknüpft wäre. Das einzige Beispiel unter den zahllosen politischen Massenstreiks im Auslande, bei dem das Sammeln von Geldmitteln zur Voraussetzung der Aktion gemacht worden ist, war der letzte belgische Wahlrechtsstreik[1], der in bezug auf seinen politischen Effekt viel weniger erreicht hat als die früheren belgischen und als viele andere Streiks, die ohne gesammelte Fonds ins Werk gesetzt worden waren. Die Wirksamkeit von Massenaktionen hängt in erster Linie nicht von dem Umfang des Geldbeutels ab, über den die Kämpfenden verfügen, sondern von der Kühnheit und Konsequenz der politischen Taktik, die den Massenstreik begleitet und leitet. Wir haben auch an den Schicksalen der Maifeier erlebt, wie die Frage der Unterstützung zum verhängnisvollen Hemmschuh für die Aktion selbst gemacht werden kann. Um so mehr Grund, daß wir bei dem Sammeln von Geldmitteln für den Massenstreik der Arbeiterschaft klar und scharf einprägen: der Schwerpunkt der Vorbereitung liege nicht in den Kassen, sondern in der Bereitschaft der Massen, jegliche Opfer des Kampfes, auch den Hunger auf sich zu nehmen. Der wirkliche „Kampffonds“ jeder großen historischen Bewegung ist nicht klingendes Geld, sondern der Idealismus der Massen und die vorwärtsstrebende, konsequente Politik ihrer Führer. Gerade und nur als ein deutliches Zeichen, daß die Berliner Arbeiterschaft jenen Idealismus zu betätigen und diese Politik bei ihren Führern einzuleiten fest entschlossen ist, sind die Beschlüsse der letzten Berliner Generalversammlung ein Markstein in der Geschichte unserer Partei. Was diejenigen Parteikreise nicht zu begreifen vermögen, in deren Namen Genosse Fischer sprach, das haben die Berliner Genossen bereits vorzüglich verstanden: Die wirkliche „Vorbereitung“ des Massenstreiks, das sind nicht technische Maßnahmen, die im voraus eine Schablone und ein fertiges Schema für eine große geschichtliche Bewegung festlegen wollen, sondern das ist die politische Erziehung der Massen und der Führer zur Zielklarheit, Entschlossenheit, Selbständigkeit im Denken und Festigkeit im Handeln.

Alle Bedenken und Befürchtungen, daß uns die notwendige Unterstützung der Gewerkschaften bei einem solchen Beginnen fehlen könnte, lösen sich in Dunst auf angesichts der jüngsten Praxis der herrschenden Reaktion. Ob die Gewerkschaftsführer es wollen oder nicht, die Gewerk-

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[1] Am 14. April 1913 begann in Belgien ein politischer Massenstreik für das allgemeine Wahlrecht, der seit Juni 1912 durch ein spezielles Komitee organisatorisch, finanziell und ideologisch im ganzen Lande sorgfältig vorbereitet worden war. An dem Streik beteiligten sich etwa 450 000 Arbeiter. Am 24. April 1913 beschloß der Parteitag der belgischen Arbeiterpartei den Abbruch des Streiks, nachdem sich das belgische Parlament dafür ausgesprochen hatte, die Reform des Wahlrechts in einer Kommission erörtern zu lassen.