Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 41

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daß der Parteivorstand die Initiative zu einer Aktion hätte ergreifen sollen.

Nun sind wir ja auch überzeugt, daß bei näherer Prüfung der Sache die Unterlassungssünde des Parteivorstandes milder zu beurteilen ist. Der Verwaltungsapparat der Partei ist derart umfangreich geworden, daß die Zahl der Mitglieder der Parteileitung nicht mehr genügt, um allen den Anforderungen, die an sie zu stellen sind, so zu entsprechen, wie es notwendig erscheint. Die Lücke des Genossen Singer ist noch nicht ausgefüllt; setzen wir dazu den Fall, ein Mitglied des Parteivorstandes oder gar zwei mögen sich zur Erledigung von Parteigeschäften oder zur Agitation außerhalb Berlins befinden, ein weiteres Mitglied sei krank, ein viertes und fünftes befinde sich in Urlaub – den wird den vielbeschäftigten Mitgliedern des Parteivorstandes gewiß niemand verwehren wollen –, da kann es nicht ausbleiben, daß über plötzlich auftauchende wichtige Fragen eine kleine Minderheit zu entscheiden hat und daß diese Fragen mitunter eine andre Erledigung gefunden haben würden, wenn der Gesamtvorstand zusammen gewesen wäre. Aus diesem Dilemma ist auch wohl der Widerspruch zu erklären, daß der Brief des Parteivorstandsmitgliedes[1] von dem Parteibüro als die Privatauffassung des Briefschreibers bezeichnet wird, während er außerhalb naturgemäß als ein Brief des Parteivorstandes aufgenommen wurde. Der Jenaer Parteitag[2] wird sich zu einer Verstärkung des Parteivorstandes entschließen müssen. Aus zwei Wahlkreisen – Teltow-Beeskow und Berlin I – ist auch bereits ein dahingehender Antrag gestellt.“

Die hier formulierte Ansicht von der Notwendigkeit der Verstärkung des Parteivorstands ist vollkommen richtig, und der kommende Parteitag wird sich seiner wichtigen Aufgabe auf diesem Gebiete nicht entziehen dürfen. Allein, es hieße gegen Übel des Bürokratismus mit rein bürokratischen Mitteln aufkommen zu wollen, wenn sich unsre Partei bei der Verstärkung des Parteivorstands beruhigen und wieder passiv von den „neuen Männern“ alles Heil erwarten würde, wie sie z. B. passiv anderthalb Monate auf den Taktstock des Parteivorstands zur Entfaltung der Protestaktion gegen die Marokkoaffäre gewartet hat. Kein Parteivorstand in der Welt kann die eigne Tatkraft der Partei in ihrer Masse ersetzen, und eine millionenköpfige Organisation, die in einer großen Zeit, im Angesicht großer Aufgaben klagen wollte, daß sie nicht die richtigen Führer hat, würde sich selbst ein Armutszeugnis ausstellen, weil sie be-

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[1] Siehe dazu S. 5–11.

[2] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Jena fand vom 10. bis 16. September 1911 statt.