Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 392

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folgten mit eherner Logik die Wahlen 1912[1], wo uns das Vertrauen der Massen wie im leidenschaftlichen Sturm mit Zinseszinsen zurückgab, was es sich vorübergehend durch brutalen Druck gegen uns hatte abtrotzen lassen. Ebenso wird sich die getretene Menschenwürde und Selbstachtung der armen Proletarier bald aufbäumen, die heute zum schlimmsten gemißbraucht werden, was einem Menschen zugemutet werden kann: zum Verrat an dem Befreiungskampf der eigenen Klasse. Mit derselben fatalen Naturnotwendigkeit, mit der in der kapitalistischen Gesellschaft auf die Zeiten der Krise in wenigen Jahren ein neuer Aufschwung des wirtschaftlichen Lebens folgt, muß auch auf die augenblickliche gelbe Flut unerbittlich die Ebbe folgen. Und je höher zur Zeit die Erfolge dieser Organisationen vom Unternehmertum aufgepeitscht werden, um so rascher und gründlicher wird sich zeigen, daß die gelbe Bewegung nur eine vorübergehende kurze Schlammwelle ist, die freien, vom revolutionären Klassenkampf belebten, von den Idealen des Sozialismus durchleuchteten Gewerkschaften aber der dauernde Niederschlag, der befruchtende Schlick der Geschichte, in dem die Saaten der Zukunft aufgehen.

Sozialdemokratische Korrespondenz (Berlin),
Nr. 17 vom 10. Februar 1914.

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[1] Die Reichstagswahlen wurden am 12. Januar 1912 durchgeführt. Die Sozialdemokratie konnte dabei 4,2 Millionen Stimmen gegenüber 3,2 Millionen im Jahre 1907 erringen und die Zahl ihrer Mandate von 43 auf 110 erhöhen. Sie wurde damit die stärkste Fraktion des Reichstags.