Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 381

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raffen; mit Füßen getretene Landproletarier, geprügelte Bergarbeiter, mit Fäusten bearbeitete Stahlwerksarbeiter! – Schon in den wenigen Tagen der vergangenen Woche konnten unsere Genossen Spiegel, Haberland, Bender, Quarck, Robert Schmidt, Krätzig ein entsetzliches Bild der kapitalistischen Wirtschaft entwerfen.

Sie haben wieder gezeigt, woher jene schimmernde Flut des „nationalen Reichtums“, jener Milliardensegen kommt, mit dem das jubiläumstrunkene Deutschland vor der Welt prunkte.[1] Sie haben gezeigt, daß heute noch in Deutschland Wort für Wort gilt, was Karl Marx vor bald 50 Jahren in seinem genialen Hauptwerk schrieb: „Das Kapital kommt von Kopf bis Zeh blut- und schmutztriefend zur Welt.“[2] Ja, als Robert Schmidt den Geheimräten am Regierungstisch die kaum glaubliche Tatsache ins Gesicht schleuderte, daß ihre einzige Verordnung zum Schutze der Gesundheit der Heimarbeiter seit 2 Jahren dahin geht, den Tabakarbeitern den vorgeschriebenen Luftraum um 3 Kubikmeter zu schmälern, konnte er da nicht, wie Friedrich Engels 1843 bei der Beschreibung der englischen Kapitalpraktiken, ausrufen: „Ich klage die bürgerliche Gesellschaft des Mordes an!“[3]

Der letzte bündige Schluß, der sich aus diesem grauenhaften Gesamtbild für jeden denkfähigen Arbeiter ergibt, ist, daß eine Gesellschaftsordnung, die auf einem solchen Fundament beruht, tausendmal wert ist, daß sie zugrunde geht, und das lieber heute als morgen. Jede Verhandlung über die Sozialpolitik verwandelt sich dank der rücksichtslosen Kritik unserer Vertreter in einen unwiderleglichen Nachweis für die historische Notwendigkeit der radikalen Abschaffung des Kapitalismus.

Wir sind aber nicht bloß eine Partei der Propaganda, sondern eine Partei der praktischen Tat. Und als praktische Politiker in des Wortes bestem und einzig wahrem Sinn haben wir in den Forderungen unseres Programms den Wegweiser, um auch innerhalb des bestehenden Jammertals sofort wirksame Abhilfsmittel zur Linderung der Not zu fordern.

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[1] Im Jahre 1913 hatten die herrschenden Kreise in Deutschland die Jahrhundertfeiern der Befreiung Deutschlands vom napoleonischen Joch sowie das 25jährige Regierungsjubiläum Wilhelms II. zu einer verstärkten nationalistischen, chauvinistischen und militaristischen Propaganda in Vorbereitung eines Krieges ausgenutzt.

[2] „Wenn das Geld, nach Augier, ‘mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe zur Welt kommt’, so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend.“ (Karl Marx: Das Kapital. Erster Band. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 788.)

[3] „So weit ist es in England gekommen – und die Bourgeoisie liest das alles täglich in den Zeitungen und kümmert sich nicht drum. Sie wird sich aber auch nicht beklagen können, wenn ich sie nach den angeführten offiziellen und nichtoffiziellen Zeugnissen, die sie kennen muß, geradezu des sozialen Mordes beschuldige.“ (Friedrich Engels: Lage der arbeitenden Klasse in England. Resultate, Leipzig 1845. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 2, S. 338.)