Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 373

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bessere Arbeitsbedingungen appellierte. Noch 1871 wurden mehrere Frauen bestraft, weil sie zu Arbeitswilligen „Bah!“ gesagt hatten. Erst die liberale Gladestonesche Ära sollte den Versuch riskieren, die Arbeiter durch Gewährung des freien Koalitionsrechts zu pazifizieren, sie zu Musterknaben nach dem Herzen des Kapitals zu erziehen. Es war ungefähr um dieselbe Zeit, daß in Frankreich die Bourgeois-Republikaner auf dem Grabe der Pariser Kommune versuchten, das Proletariat durch Begönnerung einer zahmen Gewerkschaftsbewegung zu ködern und unter dem Gambettaschen Banner der „Aussöhnung zwischen Bourgeoisie und Proletariat“ zu sammeln.

Doch der schöne Traum währte nicht lange. Schon Ende der 70er Jahre erhebt der totgeglaubte Sozialismus in Frankreich siegreich das Haupt, um auch den Gewerkschaftskampf von der bürgerlichen republikanischen Führerschaft zu befreien. In England erwacht Ende der 80er Jahre in der zahmen Gewerkschaftswelt der junge Geist der Rebellion. Der deutsche Kapitalismus aber, dem auch in der Wiege nicht vergönnt war, die unschuldigen Träume der Jugend zu träumen, der schon mit dem bösen Gewissen und der sauren Laune des Katzenjammers zur Welt kam, verharrte von Anfang bis Ende ebenso in unverhohlener Feindschaft gegen das ökonomische Grundrecht der Arbeiterschaft, wie die deutsche Gewerkschaftsbewegung von Anfang an mit der Sozialdemokratie naturgemäß innerlich verschwistert war.

Das letzte Jahrzehnt sollte den blinden Klassenhaß der bürgerlichen Gesellschaft gegen die „Verschwörungen“ der Lohnsklaven bis zur Bewußtlosigkeit steigern. Die gewaltigen Massenstreiks der Eisenbahner in Holland, Italien, Ungarn, der Postbeamten in Frankreich, der Bergarbeiter in Deutschland und England, die revolutionären Massenstreiks in Rußland, das lawinenartige Wachstum der Gewerkschaften wie der Sozialdemokratie in Deutschland – das alles hat vor aller Welt bloßgelegt, welche politische Macht die Arbeiterklasse entfalten kann, wenn sie von ihrer wirtschaftlichen Macht im richtigen Moment Gebrauch zu machen versteht. Der Gebrauch des Koalitionsrechtes hat sich als erstklassige Waffe zum Hieb wie zur Parade gegen die Reaktion und als vorzügliches Mittel zur Schulung und Sammlung der proletarischen Massen erwiesen.

Gerade deshalb erleben wir seit Jahren den beispiellosen Kreuzzug gegen das Koalitionsrecht, bei dem Deutschland den Ehrgeiz hat, „in der Welt voran“ zu marschieren.

Aber dieser reaktionäre Kreuzzug ist zugleich in seiner weiteren Wir-

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