Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 364

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losigkeit als periodische Massenerscheinung kein Kräutlein hienieden gewachsen ist, solange menschliche Arbeitskräfte als „lebendige Maschinerie“ Privatbesitz des Kapitals bleiben, dies mit zynischer Offenherzigkeit schon vor einem halben Jahrhundert ausgesprochen zu haben ist das Verdienst der Lancershirer Baumwollmagnaten.

Aber sie taten noch mehr für die dauernde Aufklärung der Arbeiterklasse. Sie sträubten sich mit Händen und Füßen gegen jede staatliche Aktion größeren Stils auch nur zur Linderung der Not der Hunderttausende und bestanden darauf, daß die Arbeitslosen statt durch großzügige Maßnahmen unterstützt höchstens durch drückende Almosen mißhandelt wurden. Damit war vor 50 Jahren das Programm geschaffen, nach dem seither das Problem der Arbeitslosigkeit von den kapitalistischen Staaten praktisch behandelt wird.

Heute stehen wir wieder einmal am Anfang einer jener periodischen Krisen, die mit der Pünktlichkeit eines Uhrwerks die Gesellschaft heimsuchen. Erst vor 15 Jahren ward uns verkündet, der Marxsche 10jährige Krisenzyklus sei ein überwundener Standpunkt aus den Flegeljahren des Kapitalismus, die wirtschaftlichen Katastrophen würden immer milder und gehörten bald ins Reich der Ammenmärchen. Auf diese Prophezeiung, welche Antwort Schlag auf Schlag! In den Jahren 1900–1902 die erste Krisentaufe des neuen Jahrhunderts, 1907–1909 nach knapp 5 Jahren die zweite Weltkrise, und nun, nach Verlauf von kaum 4 Jahren, sind wir mitten in der ersten Sturzwelle einer dritten Krise.

Die Wirklichkeit hat aber alle Schwarzmalerei Marxens auch noch in anderer Beziehung übertroffen. Im vorigen Jahrhundert pflegte Krise mit Prosperität zu wechseln, nicht bloß für die Kapitalisten, sondern auch für die Arbeiter. Hohe Löhne während der guten Geschäftszeit, niedrige Lebensmittelpreise während der Krise waren die beiden Milderungsmomente des schroffen Wechsels für die proletarische Masse. In seinem Hauptwerk bezeichnet Marx noch die allgemein hohen Löhne als die regelmäßigen „Sturmvögel der Krise“. Seit Beginn des neuen Jahrhunderts bleiben die „Sturmvögel“ aus, und das Unheil der Krise bricht über die Massen herein, ohne daß sie während der Prosperitätsperiode in der Lage gewesen wären, sich auch nur auf die Staffel eines minimalen Wohlstandes zu schwingen. Umgekehrt wird die andauernde Teuerung, die den materiellen Aufschwung der Arbeiterschaft während guter Geschäftslage herabdrückt, zur besonderen Geißel, die den Notstand der Arbeitslosigkeit bis zum bitteren Massenelend steigert. Heute fangen die Kapitalisten aus jeder Aufschwungsperiode der Industrie immer enormere Goldströme

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