Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 323

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mulieren, die den Pulsschlag des Kampfes in unsern Reihen beschleunigen und die Kampflust der Massen in der letzten Zeit erregt haben. Die Verschärfung der Klassengegensätze, die auf allen Gebieten zutage tritt: in den Gewerkschaftskämpfen, in den Parlamenten, in den Vorstößen des Militarismus, in der steigenden Kriegsgefahr, in der Bedrohung des Koalitionsrechts, im Stillstand der Sozialreform, im reaktionären Verfall der bürgerlichen Oppositionsparteien – dies ist es, was in den weitesten Kreisen der Arbeiterschaft jetzt eine lebhafte Beunruhigung und den Gedanken an schärfere Kampfwaffen rege gemacht hat.

Dieser objektiven Sachlage und diesem Empfinden der Massen Ausdruck zu verleihen ist Aufgabe des Jenaer Parteitags.

Die Vorstandsresolution weiß von alledem gar nichts. Sie hat nicht den geringsten Hauch von jenem frischen Kampfgeist der Massen verspürt, aus dem heraus die Massenstreikdebatte entstanden ist. Sie enthält nicht einmal einen Versuch, die besondere Situation, in der wir uns befinden und im Zusammenhang mit der die Losung vom Massenstreik wieder in das politische Gesichtsfeld der Partei gerückt ist, zu kennzeichnen. Was diese Resolution darstellt, ist ein Bündel ganz abstrakter schematischer Thesen über Massenstreik und allgemeines Wahlrecht, die ebensogut vor fünf Jahren auf irgendeinem Bezirkstag oder Provinzialparteitag hätten formuliert werden können. Diese Resolution bringt uns weder in der Erkenntnis des Massenstreiks als Kampfwaffe noch in der Erkenntnis der aktuellen Situation unsres Kampfes um ein Jota vorwärts. So, wie sie vorliegt, hätte ihre Annahme durch den Parteitag nicht den geringsten Zweck, und dieses In-nichts-Zerrinnen der geführten Debatten über den Massenstreik ist offenbar der eigentliche Zweck dieser vom Vorstand vorgelegten Resolution.

Doch nicht genug. Statt uns vorwärtszubringen, macht die Resolution in einigen entscheidenden Punkten einen deutlichen Schritt hinter die Erkenntnis zurück, zu der sich die Partei bereits durchgerungen hat. Sehen wir uns die Resolution Absatz für Absatz an. Sie lautet:

„Nach dem vom Mannheimer Parteitag (1906) bestätigten Beschluß des Jenaer Parteitages (1905) ist die umfassendste Anwendung der Massenarbeitseinstellung gegebenenfalls als eines der wirksamsten Mittel zu betrachten, nicht nur um Angriffe auf bestehende Volksrechte abzuwehren, sondern um Volksrechte neu zu erobern.

Die Eroberung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts zu allen Vertretungskörpern ist eine der Vorbedingungen für den Befreiungskampf des Proletariats. Das Dreiklassenwahlrecht ent-

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