Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 30

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und Franzosen. Die strenge Erfüllung dieses von allen interessierten Mächten unterzeichneten Vertrags zu verlangen ist nicht nur der ehrenhafteste und humanste, er ist auch der billigste Weg, Deutschen, die in Marokko Handel und Gewerbe betreiben wollen, zu dem zu verhelfen, was sie mit Ehren und Verstand verlangen können.“[1]

„Mit Ehren und Verstand“ dürfen Mannesmann und Krupp verlangen, daß ihnen afrikanische Arbeiter als Leder zum Gerben ausgeliefert werden! „Das Recht“, afrikanische Arbeiter in Bergwerken und Pflanzungen für den kapitalistischen Profit zu Tode hetzen zu dürfen, das ist für unsern Bernstein der „ehrenhafteste und humanste Weg“! O Moralprediger! Aber so ergeht es immer unsern „praktischen Politikern“, die vor lauter staatsmännischem Drang durchaus auf „positivem Boden“ stehen wollen, daß sie mit beiden Beinen in der Luft zappeln und mit den edelsten Teilen auf den Boden zu liegen kommen.

Das Mißgeschick Bernsteins beweist eben, daß er an die ganze Frage von verkehrter Seite herangetreten ist. Mit „Recht“ und „Moral“ kann man solche Erscheinungen wie den modernen Imperialismus nicht messen. Seine Tendenzen, seine Wurzeln, seine historische Bedeutung als Schlußperiode der kapitalistischen Entwicklung – das zu erfassen, das ist die Aufgabe der Sozialdemokratie. Die unzertrennliche Verbindung des Imperialismus mit der kapitalistischen Entwicklung, deren legitimes Kind er ist trotz seiner abschreckenden Häßlichkeit oder vielmehr gerade in seiner abschreckenden Häßlichkeit – das ist, was wir die Arbeiterklasse begreifen lehren müssen. Und daraus muß sie die Konsequenz ziehen, daß man den Imperialismus, Krieg, Länderraub, Völkerschacher, Rechtsbruch, Gewaltpolitik nur bekämpfen kann, indem man den Kapitalismus bekämpft, indem man dem weltpolitischen Völkermord die soziale Revolution entgegenstellt. Sucht man aber innerhalb der imperialistischen Politik Abhilfe und Lösungsmittel für seine Konflikte und will man sich seinem Sturm und Drang widersetzen, indem man ihn einfach auf das bereits Überwundene zurückzuschrauben versucht, so ist das nicht proletarische, sondern kleinbürgerliche, hoffnungslose Politik. Diese Politik ist im Grunde nichts andres als stets die Verteidigung des Imperialismus von gestern gegen den Imperialismus von heute.

Die moralische Empörung spielt in unsrer Protestbewegung gegen die Weltpolitik freilich eine große Rolle. Sie wird aber nur dann zum politischen Faktor, wenn sie mit dem Verständnis der historischen Gesetze der Erscheinung verbunden ist, wenn sie sich nicht gegen äußere Formen,

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[1] Ebenda.